Dieses Posting habe ich vorausgeplant – wir sind nun schon ein gutes Stück weit von den Kap Verden entfernt. Ich habe es vorgeschrieben, weil heute der 90. Geburtstag meines Vaters wäre – und gleichzeitig der 7. seiner Urenkeltochter! Herzliche Gratulation.
Otto Anton Eder
Mein Vater Otto Anton hatte sich also als 15 jähriger aus der Eliteschule aus dem Staub gemacht und kehrte durch die Wirren des endenden Kriegs nach Hermagor zurück. Wenn man sich auf der Karte ansieht, wie der Weg vom Brenner ins Gailtal verläuft, kann man sich vorstellen, dass das nicht einfach war. Nach Kriegsende maturierte er mühelos in Klagenfurt und ging nach Wien, um zu studieren. Es verschlug ihn zuerst ans Theater, dann zum gerade entstehenden Fernsehen, das sein Medium wurde. Er machte eine beachtenswerte Karriere, wie die meisten Schüler dieser Eliteschule in Feldafing, und wie die meisten wurde er einer, der sein Leben lang scharf und unmissverständlich gegen jede Form des Antisemitismus auftrat.
Er war selbst dreimal verheiratet, wobei Jakob und ich aus der ersten Ehe stammen und unser Halbruder Sebastian aus der zweiten. Bei familiären Konflikten, in denen die Kinder involviert waren, pflegte er zu sagen „Ich kann die Stimme des Blutes nicht hören“.
Das war natürlich dummer Unfug, die Stimme schrie ihn an und er saß wie ein nicht abgeholtes Kind da und versuchte sich die Ohren zuzuhalten. So wie mein Bruder Jakob nicht nur einmal dasaß, auf der Bank der Garderobe im Kindergarten, und vergeblich darauf wartete, von seinem Vater abgeholt zu werden. Verlassene Kinder, verlorene Väter. Als Zweitgeborener hat man es da sicher leichter.
Wenige Wochen, nachdem mein Großvater im Mai 1963 gestorben war, kam ich zur Welt. Wir hatten also gar keine Möglichkeit, einander zu begegnen. Meine Zeugung war wohl der Versuch meiner Eltern, ihre Ehe zu retten. Das ist ihnen bekanntlich nicht geglückt, und es war wohl auch besser so für alle. Als sie sich trennten, war ich drei Jahre alt. Mein Bruder und ich haben unseren Vater immer sehr bewundert, verklärt, in auf einen Sockel gestellt. Ihn besuchen zu können war ein Festtag, und meist sahen wir ihn auch nur zu Festtagen, also zu Weihnachten.
Otto-Anton war zweifelsohne ein wundervoller Mensch, wir haben ihn geliebt und er uns. Das zumindest räumlich nächste Verhältnis zu ihm von uns drei Brüdern hatte wohl ich, auch, weil ich es gesucht und dafür viel Zeit aufgewendet habe. Warum? Keine Ahnung. Vielleicht um ihm die Stimme zuzuflüstern, deren Schreie er nicht hören wollte. Mein Vater, bei aller Klarheit, Entschiedenheit und Entschlusskraft, die er an den Tag legen konnte, war nämlich auch ein geplagter Mensch, der mit vielen Dingen haderte, auch wenn er das nicht immer zeigen konnte oder wollte. Er war, und das ist leider keine Legende, ein großer Trinker und malträtierte seine Lunge mit filterlosen Zigaretten der Marke Austria 3. Er arbeitete sich an den Dingen ab, die ihn plagten, und die meterlange Sammlung von Büchern über den Nationalsozialismus und Hitler waren nur eine Facette davon, eine andere war die Geschichte seines Vaters, der ihn verlassen hatte. Aber das hätte er niemals zugegeben. Der Fernseher lief immer, meistens Sport.
Als Otto Anton 2004 verstarb, hat sein langjähriger Assistent und heute renommierte Fernsehregisseur Kurt Pongratz das Begräbnis zu wesentlichen Teilen inszeniert, freilich in Absprache mit der letzten Frau meines Vaters. Und das war eine mächtige Inszenierung. Der Friedhof in Gutenstein, wo mein Vater zuletzt gelebt hatte, war mit über 700 Menschen gefüllt, Albhorn Bläser aus Vorarlberg, Chöre von sonstwo, überall, wo mein Vater fürs Fernsehen gedreht hatte, hatte er tiefe Spuren hinterlassen, die Leute mochten und verehrten ihn und alle waren zu diesem Begräbnis gekommen. Sein Leichnam war in der kleinen, kalten und feuchten Kirche von Gutenstein aufgebahrt, und obwohl er ohne religiöses Bekenntnis war, saßen die Äbte von drei Klöstern neben seinem Sarg und liessen das dümmliche Gequatsche des Dorfpfarrers über sich ergehen. Er muss in seinem Leben also einiges richtig gemacht haben. Dann zog die Prozession der Trauergäste hinauf zu dem am steilen Hang liegenden Friedhof, wo er schließlich begraben wurde, unweit von Ferdinand Raimund. Ein schlichtes Eisenkreuz ziert sein Grab.
Einige Monate später bedankte ich mich bei Kurt Pongratz für sein Engagement. „Du mußt mir nicht danken“, sagte er, „denn weißt Du, der Otto war wie ein Vater für mich“.
Was macht einen Vater zum Vater und was zeichnet einen guten aus?
Meine Tochter war zu diesem Zeitpunkt drei Jahre alt.