Zwischen den Welten
Während der Nacht waren zwei Kreuzfahrtschiffe gekommen, der Wind hatte nachgelassen und das Meer war ruhig geworden. Die Woche des Karnevals beginnt heute, angeblich, so behaupten die Menschen hier, der schönste außerhalb Brasiliens.
Zweihundertvierzig Liter Diesel nimmt die Europa auf.
„Danke für alles!“
„Gute Fahrt!“
Wenig später verschwindet die Insel im Dunst. Zwei Fischer in flotter Fahrt Richtung Hafen, dahinter ein weiteres Kreuzfahrtschiff, Zusammenfassung der beiden Gesichter von Funchal. Am Ende sind es die Menschen, die die Schönheit eines Ortes ausmachen und darüber entscheiden, ob man zurückkehren möchte oder nicht.
Die Sicht wird rasch schlechter, diffuse Regenwolken, eine bringt Regen aus dem Osten und mit ihm fällt Sand aufs Deck. Die Sahara ist nah. Ein Frachter taucht auf dem Dunst auf, keine anderthalb Meilen entfernt, viel weiter sehen die Augen nicht. Das Radar hatte das Schiff zwar bereits vorher entdeckt, doch die wiederholten Funkrufe waren erfolglos geblieben. Erst als die Europa ihren Kurs deutlich ändert, scheint auch die Mannschaft auf der Brücke des Frachters zu erwachen, der nun seinerseits ebenfalls hart nach Steuerbord dreht, wobei sich das riesige Schiff deutlich zur Seite neigt.
Am nächsten Morgen dreht der Wind. Viel später, als erwartet, ist er auch leichter, als gedacht. Die Maschine läuft noch immer, das Meer wundersam glatt, ist selbst kaum Dünung zu spüren. Selbst nach fast 24 Betriebsstunden und hundert verbrauchten Litern sieht der Vorfilter sauber aus. Das ist doch gut. Wenig später nimmt der Wind zu und der Motor darf Pause machen. Einzig die Wellen sind nun noch zu hören, die am Rumpf plätschern.
In der Nacht nimmt der Wind zu. Das vorhergesagt Hochdruckgebiet rückt aus Westen heran. Anfangs scheren die Wellen noch, das Rollen beginnt. Wenig später kommt auch ein Reff ins Vorsegel, die Wellen gewinnen an Höhe. Eine Regenfront zieht durch.
Erst in den Morgenstunden, als sich ein sichelförmiger Mond aus dem Schwarz erhebt, wird eine silbergraue, hügelige Wasserlandschaft sichtbar. Schwach und aus großer Entfernung zeichnet sich ein Leuchtfeuer über dem Bug ab. Dahinter muss sich der zweieinhalbtausend Meter hohe Roque de los Muchachos erheben. Wenn der Tag kommt, wird er hinter Wolken sein.
Als die Dämmerung dann einsetzt und wieder diese unglaublichen Farben in den Himmel zaubert, ist das Leuchtfeuer von Punta Complida bereits querab. Die Wellen haben zugelegt und brechen in drei Meter Höhe. Kaffeekochen ist ohne blaue Flecken nicht zu bewältigen. Was nicht gut verstaut war, ist durch den Salon geflogen. Schließlich das ruhige Wasser im Hafen von Santa Cruz de La Palma, an dessem nördlichem Ende, von einem Schleusentor geschützt, die Marina liegt.
Drei Jahre, ein Monat, zahllose Lockdowns und 13.000 Seemeilen später ist das die erste Insel im Atlantik, welche die Europa zweiten Mal anläuft. Was für eine Reise. Was für ein Abenteuer. Was für Erinnerungen.
Schwarzer Lavastrand ist also der angeblich feste Boden unter den Füßen. Gefühlsregungen vermengen sich sehr eigentümlich, einmal zu eine Dünung, die Dich fast behutsam hochhebt, um im nächsten Augenblick von einer brechenden Brandung an die Küste geschleudert zu werden, und dann über den weichen, glattgezogenen Strand leise zischend wieder hinaus gezogen zu werden.
Was wohl hinter dem Horizont da draussen liegt?
Wunderschöne Erzählung, gottseidank gut angekommen. La Palma ist eine Insel zum Zurücklehnen.
Was für ein Abenteuer!!! Es war spannend, lehrreich. erheiternd, manches Mal habe ich um Dich/Euch auch Angst gehabt und dann auch wieder sehr gefreut für Euch. Motoren, die wieder anspringen, Schiffe, die Euch nicht erwischen, die Schönheit der Landschaften. Die Vater/Tochter Reise. Abreisen ohne Erlaubnis. Aber auch enormer Respekt, wenn ich mir 9 Meter hohe Wellen vorstelle (mir hat ein Dora Sturm in Kroatien schon gelangt…).
Ganz, ganz liebe und herzliche Grüße Michaela