Mit der Nacht war die Flaute gekommen. Was der Wetterbericht als „unorganisierte Luftmassen, die viel Regen bringen“ prophezeite, hat sich als dicke graue Wolkendecke manifestiert. Immer wieder regnet es. Wir motoren nun doch, allerdings ohne das Hindernis einer falschen Strömung.
Die Tage sind dicht gefüllt, die letzten beiden waren wegen der ständigen Segelwechsel und der ruppigen Fahrt, die uns nicht voranbrachte, mental und körperlich anstrengend.
Es war nicht mein Vorhaben, über diese Themen diesmal im Logbuch zu schreiben. Es hat sich ergeben. Es ist aufregend, aber auch zeitintensiv, diesen Gedanken nachzuspüren und sie zu formulieren. Seltsam, was einen so umtreibt in den hellen Nächten am Meer, was man mitnimmt, um es loszuwerden.
Im Heck der Europa dämmert ein atlantischer Morgen in voller Pracht. Die schweren Regenwolken der Nacht, die uns immer wieder überholt haben, sind weit vor uns. Ich hoffe, die Bedingungen werden sich nun stabilisieren.
Was müssen sie mich kümmern, mag einer denken, all diese Fragen nach dem Was und Wie, Warum und Wozu. Soll jeder seine Sache machen, dann sehen wir schon, wie es weitergeht. Vielleicht ist das Muster, das wir hinter all der Willkür und dem Zufall zu erkennen versuchen, ein Trugbild, Einbildung, vielleicht gibt es keinen größeren Plan. Aber was verbindet uns dann so fest miteinander – in der Liebe wie im Haß?
Als die Taliban die fünftausend Jahre alten, überdimensionalen Buddha Statuen aus dem Sandstein in Afghanistan sprengten, sahen wir gleichermaßen entsetzt wie verblüfft zu. Sie erkannten nicht das Kunstwerk, sie wollten bloß die Existenz eines Götzenbildes, das um so viele Jahrtausende älter war als ihre eigene Religion – als ihr eigener Gott! – vernichten. Nichts sollte an die Erzählung einer anderen Geschichte erinnern, nichts durfte ihrem Gott gegenüberstehen. Fassungslos sahen wir zu und wussten nicht, woher diese Barbaren einer anderen Vergangenheit auf einmal gekommen waren, haben wir Europäer diese Barbarenakte – angeblich – doch längstbhinter uns gelassen.
Selbst als die Taliban die Götzenbilder unserer modernen, westlichen Gesellschaft in Schutt und Asche legten, begriffen wir nicht, in welcher Erzählung wir uns befanden. Auf einmal hatte jemand anders unser Buch genommen und begonnen, darin zu schreiben.
George Bush rief zum Gegenschlag, inszenierte sich als Helden, der nun keine andere Wahl mehr hätte, als in das Geschehen einzugreifen. Colin Powell trat vor das höchste Gremium, das diese Welt zu bieten hat, den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen, und präsentierte seine Beweise von Anlagen zur Produktion chemischer Waffen im Irak. Er log. Er, die Person Powell, machte sich zum Lügner im Auftrag seiner Regierung, die diese Lüge für ihre Erzählung brauchte. Selbst CNN und die New York Times haben diese Lüge – wie wir heute wissen – wissentlich gedeckt. Auf einer Lüge lässt sich kein Plot aufbauen, vielleicht auf einer unterschiedlichen Sichtweise, einer anderen Darstellung – aber nicht auf einer Lüge. Die New York Times hat diese falsche Berichterstattung übrigens bis heute nicht richtiggestellt. Ein Indiz dafür, dass es wissentlich geschehen war. Insofern hatte Donald Trump also nicht ganz unrecht, wenn er CNN und NYT als Fake News Media bezeichnete. Unangenehmer Gedanke.
George Bush’s Nachfolger machte in derselben Geschichte einen ähnlich schweren dramaturgischen Fehler – die Ermordung und heimliche Seebestattung von Osama Bin Laden. Beides wäre nicht notwendig gewesen. Bin Laden hätte gefangen werden können, es wäre möglich gewesen ihm dem Prozess zu machen. Warum tat man das nicht, sind uns doch Demokratie und Rechtsstaatlichkeit so bedeutend?
Was wollte man also erzählen – und wer sollte das Publikum sein? Denn eines ist klar: Verhaftung und Prozess hätten das Drama in einem großen dritten Akt beendet und die Möglichkeit geschaffen, mit jenen, die sich durch die Al Quaida oder die Taliban vertreten fühlen, in einen Dialog zu treten, ohne den wir aber keinen Frieden erlangen werden. – Obama hatte es in der Hand, die Geschichte zu einem Ende zu bringen. Er tat es nicht.
Ein Tag der Schwerarbeit. Der Wind ist wenig und kommt genau von hinten. Ich will aber unbedingt bis in die Gegend des 50. Längengrades, ehe wir auf einen Kurs von ca 300 Grad direkt auf St Lucia steuern.
Wir haben versucht, den Spinnaker zu setzen, der aber leider in sich verdreht war. Das muss bei letzten Trocknen passiert sein. Ein Tag Schwerarbeit, das riesige Segel und seinen Bergesack – ein Ding, das man von oben nach unten zieht, um das Segel einzuholen – zu entwirren. Wir waren beide voll k.o. und hatten nicht mehr die Kraft, das Segel heute noch zu setzen. Für morgen ist alles hergerichtet, und so, wie die Prognosen aussehen, werden wir ihn morgen früh setzen. Bis dahin haben wir den Motor zugeschalten, um halbwegs Tempo zu machen. Ich beginne mir Sorgen über unsere Ankunft zu machen. Im worst case müssen wir in St Lucia 72 Stunden, also 3 Tage in Quarantäne bleiben. Spätestens am 14. 12. morgens müssen wir allerdings auslaufen, um am 19.12. in Punta Cana sein zu können. Der 13.12. ist zudem ein Sonntag. Ich brauche ein Dinghy, eine Druckwasserpumpe, eine Bilgepumpe und einiges Kleinzeug. Wir müssen frisches Obst, Gemüse, Fleisch und Brot für die 4 Tage kaufen, Diesel und Wasser tanken. Mir tut das wegen Anna leid, die nicht sehr viel von der Insel sehen wird. Aber vielleicht teilen wir uns auf – sie macht die Lebensmittel und schaut sich ein bisschen die Insel an, und ich mach den Rest. Ich kenne St. Lucia ja!
Wir haben 49•30‘ bei 6•N passiert und unseren Kurs auf 295• gesetzt. 9-11 ktn Wind und die Strömung treiben uns nun mit rd. 6kt voran. We‘re back on track!
Voll strahlt der Mond, und riesig, helle Nacht.