Ravioli in der Wintersonne
Bereits nach wenigen Tagen ein Ritual: Den Espresso nehme ich in der Bar Central auf der Piazza Vittorio Emanuele, danach sehe ich, was ich einkaufen kann. Westwind treibt Staubwolken durch die Gassen. Zu meiner Rechten führt die Via Verdi zwischen den Häusern neben der Kirche steil den Hügel hinab, das Meer ist zwischen den Häusern zu sehen. Sieben, acht und gelegentlich sogar neun Windstärken treiben weiß schäumende Wellen durch die Straße von Bonifacio, der Meerenge zwischen Korsika und Sardinien, in der der Wind ein in der Wintersonne hart glänzendes Wasser hinterlässt, voll weißer Gischt. Richtung Süden hingegen öffnet sich das wohlbehütete Landesinnere in sattem Grün, geteilt durch die Via Nazionale, die dann hinter dem gegenüberliegenden Hügel verschwindet. Die Luft glitzert über dem Asphaltband, ich denke an Amerika und kaufe frisches Obst. In dem kleinen Laden auf der anderen Straßenseite verkauft eine üppige Italienerin selbstgemachte Ravioli, die entweder mit Spinat oder mit Riccotta gefüllt sind – entscheiden kann ich mich nicht und nehme von beiden.
Im Park beim Busbahnhof sitzen Jugendliche und haben zeitlang. Von dort führt der steile Weg zum Hafen hinunter in die enge Bucht, von steilen Hügeln umgeben, sodass der Wind darüber hinwegfegt. Nur in den hohen Masten ist gelegentlich ein Pfeifen zu hören, gefolgt vom Schlagen der Falle. Dort ist das Wasser ruhig, niemand zu sehen. Mit grünen und blauen Plastikschnüren bezogene Sessel stehen in der Wiese neben einem geschloßenem Kiosk. Die Sonne ist zu Mittag bereits kräftig, aber die Tage sind kurz und die Hafenbucht liegt lange im Schatten, der Morgen war kalt. Mediterraner Winter an der Nordspitze Sardiniens.
Zwei kleine Tomaten schneide ich in Stücke, Salz, Pfeffer und Olivenöl dazu. Zur einen Hälfe See- und zur anderen Süsswasser, die perfekte Mischung, um die Spinatravioli darin aufkochen zu lassen. Keine zwei Minuten später schwimmen sie auf – fertig. Die Tomaten schwitze ich in einer kleinen Pfanne mit ganz wenig Zwiebel vorsichtig an, dann ein paar Tropfen frisch gepressten Zitronensaft. Vorsichtig, um die Teigtaschen nicht zu verletzen, hebe ich sie unter die Tomaten, Parmesan drüber. Gegessen wird an Deck, die Sonne wird bald hinter dem Hügel verschwinden. Auf der anderen Seite des Hafenbeckens legt die Fähre nach Korsika an. Solange der Westwind in dieser Stärke bläst, ist an Auslaufen nicht zu denken. Wo bin ich angelangt, allein an diesem Ort, zu dieser Zeit? Warum, um alles in der Welt, bin ich hier? Wohl um diese Ravioli in der Wintersonne zu essen.