Date: 17. Jänner 2021 um 21:58:15 GMT-5
Location: 23.25°N, 80.38°W
In den Nachtstunden passieren wir den Südwestzipfel von Great Inagua Island. Die Küste ist einen Steinwurf entfernt, die Lichter der einzigen kleine Stadt auf der Insel, Matthew Town, sind zu sehen. Meine Versuche, mit dem Hafenmeister Kontakt auszunehmen und zu erfragen, ob wir einen Stop hier einlegen dürfen, blieben ergebnislos. Was wir von den Bahamas in den letzten Wochen gehört haben, war allerdings ohnehin nicht besonders einladend. Es gebe zwar wunderschöne Plätze, aber die Inseln seien sehr teuer und das Corona Management mehr als dürftig.
Zweifelsohne aber liegt dieser Punkt bereits auf der Höhe von Kuba, dessen östliche Küsten nur rund 40 Meilen entfernt sind. Das bedeutet, dass wir uns in einer neuen Zeitzone befinden. UTC -5 Stunden entspricht einer sechsstündigen Verschiebung zur österreichischen Winterzeit. Unsere Uhren bleiben aber wie immer auf UTC. Sonnenuntergang ist somit gegen 22:30 und die Nacht dauert gute 12 Stunden.
Die Geschichte Kubas und die unterschiedlichen Geschichtsschreibungen sind höchst interessant und langsam beginne ich mich zu vertiefen. Ist für uns die Insel hauptsächlich mit der Kubakrise und dem sturen Kommunisten Fidel Castro verknüpft, zeigt sich bei genauerer Betrachtung erwartungsgemäß ein wesentlich ambivalenteres Bild. Tatsächlich muß man, so glaube ich, sowohl die Kubakrise als auch den kubanischen Sozialismus in erster Linie als ein Produkt des Kalten Krieges erkennen, also der Auseinandersetzung zwischen den beiden großen Blöcken des 20. Jahrhunderts. Solche Beispiele gibt es freilich öfter und wir finden sie in Asien oder dem Nahen Osten – Afghanistan beispielsweise, oder auch Iran, Libyen und Syrien, um nur wenige zu nennen. Auffällig ist freilich, dass Kubas Entwicklung sich so drastisch von jener der anderen genannten Staaten unterscheidet.
Die Geschichte des heutigen Kuba beginnt mit der Invasion der Spanier in der Karibik und dem gesamten lateinamerikanischen Raum, die der Entdeckung auf den Fuß folgte. Bereits vor der Entdeckung Kubas flohen viele Haitianer vor der Grausamkeit der europäischen Invasoren auf die Nachbarinsel. Diese war aber nur kurz ein Zufluchtsort. Die Spanier benutzen Kuba nicht nur als strategischen wichtigen Brückenkopf für die Vernichtung des Aztekenreiches, die einheimische Bevölkerung und die Flüchtlinge von den anderen karibischen Inseln wurden ausgerottet oder versklavt. Um das fruchtbare Land gewinnbringend zu bewirtschaften wurden Sklaven aus Afrika importiert. Die Sklaverei in Kuba reichte aber bis ins beginnende 20. Jahrhundert – streng genommen sogar bis zur Revolution 1959.
Die schwindende Macht der europäischen Kolonialmächte wurde rasch von den Amerikanern ausgenutzt, die sich bereits zur vorletzten Jahrhundertwende nicht nur in Kuba als neue Kolonialherren vorstellten.
Vergleicht man die Entwicklung Haitis mit jener Kubas, muss man erkennen, dass Haiti heute eines der ärmsten Länder der Welt ist, weil es sich dem amerikanischen Kolonialismus vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts nicht entgegengestellt hat.
Das Narrativ, das die Revolution und die lange Herrschaft Castros begleitet, ist nur vordergründig jenes von David gegen Goliath. Vielmehr entstand mit der Revolution erstmals so etwas wie eine eigenständige nationale Identität der Kubaner, jener Mischwesen aus Afrikanern, Kreolen, Tainjos, Indios und Spaniern. Daraus resultierte auch der Beginn einer neuen, eigenen Kulturgeschichte. Havanna war und ist ein maßgeblicher Schnittpunkt der Musik und der Literatur.
Ich möchte mich hier nicht über den Kolonialismus – sei es der europäische oder der amerikanische- auslassen, wir wissen alle um die Gräuel dieser Zeit. Dass sich das, was wir als Wohlstand definieren, aber bis heute darauf aufbaut, sollte wir uns gelegentlich in Erinnerung rufen, vor allem dann, wenn wir Länder beurteilen, die sich dieser Ausbeutung und Unterdrückung widersetzen. Denn dass mit Batista ohne jeden Zweifel ein Schwerverbrecher Kuba von Amerikas Gnade regiert hat ist eine Sache. Dass die USA an diesem Regime bis heute festhalten wollen, eine andere. Und diesbezüglich ist Kuba kein Einzelfall. Dabei möchte ich die Verdienste der USA bei der Befreiung Europas im Besonderen während des Zweiten Weltkriegs nicht schmälern. Dass die Außenpolitik des USA heute auch von Europa öfter infrage gestellt wird, wurde durch die Amtszeit Donald Trumps beschleunigt, und es bleibt zu hoffen, dass eine vernünftige und begründete Kritik an den nach wie vor imperialistischen Zügen der US Außenpolitik auch unter der nun kommenden amerikanischen Präsidentschaft aufrecht erhalten wird.
In Summe motorsegeln wir nun schon fast 30 Stunden. Wie es aussieht, wird das auch die kommende Nacht so bleiben und ich beginne bereits, unseren Spritverbrauch zu berechnen. Mit morgen Abend sollte dann aber ein Nordostwind mit bis zu 20 Knoten einsetzen. Das wird zwar ein gutes Reff nötig machen, aber dafür sollten wir dann umso zügiger voran kommen.