Wir haben das Cap Cancalhar passiert. Die erste Nacht war ruppig. Kurze, steile und hohe Wellen im seichten Wasser. Dazu die Strömungswirbel, wo der Meeresboden abfällt. Ich musste den Autopilot neu justieren, selbst der hat den Dienst verweigert, so stark hat das Schiff gedreht.
Jetzt segeln wir entlang der 200 Meter Linie, der seichte Grund ragt der Form des Caps gleich weit ins Meer hinaus. Hier ist die Welle lang, wir segeln vor dem Wind und verwenden nur das Vorsegel. Alle paar Minuten rollt das Schiff, aber im Vergleich zur vergangenen Nacht ist das ein Himmelbett. Es ist bedeckt und daher nicht zu heiss. Max hat uns mit den Vorhersagen versorgt, wir rechnen damit, Ende der Woche die ITCZ zu durchqueren.
Wir sind zwar erst 24 Stunden unterwegs, aber es ist faszinierend, wie beruhigend die Abwesenheit der 24/7 elektronischen Vernetzung auf die Psyche wirkt. Es ist ja zweifelsohne Teil der Evolution, dass wir uns zu schwarmintelligenten Gebilden weiterentwickeln, und dazu gehört die Verfügbarkeit unserer Daten, egal, ob sie korrekt sind oder nicht, genauso wie das Bild unserer Katze, das die Welt gesehen haben muss. Gleicht das, was wir Vernetzung nennen, nicht dem Nervensystem eines größeren Organismus? Sind unsere Postings nichts anderes als Impulse, die wir in diese Bahnen jagen?
Meine wiederkehrende Sehnsucht nach der Abwesenheit aus dem Sozialen Netzwerk könnte ein Hinweis darauf sein, dass ich – und das meine ich weder wehleidig noch kokett – noch zu einer anderen Entwicklungsstufe des Menschen gehöre. Ähnlich ist es wohl auch vor uns jenen Generationen ergangen, die älter wurden und mitansehen mussten, wie ihre Kinder selbstverständlich und geradezu spielerisch Fertigkeiten an den Tag legten, die sie sich noch hart hatten erarbeiten müssen.
Es war mir immer schon schwer gefallen, mich auf Gruppenarbeitsprozesse einzulassen. Entweder hatte ich das Gefühl zuwenig beitragen zu können und somit an der Arbeit anderer zu schmarozen, oder umgekehrt. Nie war das Ergebnis befriedigend, weil ich nie das Gefühl haben konnte, etwas geschafft – oder geschaffen – haben zu können. Nichts konnte ich mir selbst zuordnen.
Als ich den 1980er Jahren meinen ersten Computer nach Hause schleppte, tat ich das in der Gewissheit, Teil einer neuen, aufregenden Entwicklung zu sein. Bald hatte ich konkrete Phantasien, wohin sich das alles bewegen würde. Diese Phantasien wurden immer rascher in Realitäten umgesetzt – und das, obwohl ich kein Techniker bin und mich nie mit der technischen Umsetzbarkeit auch nur ansatzweise beschäftigt hatte. Meine Kenntnisse reichen bis heutebtatsächlich nicht weit über das Erkennen eines gängigen Steckertyps hinaus. Die Aneinanderreihung weniger Fakten reichte aus, um die Entwicklung sehr genau zu antizipieren – mit ein bisschen Phantasie konnte ich nicht daneben liegen. Und die Treffsicherheit meiner eigenen Prognosen überraschte mich selbst.
Als das Internet dazu kam, stellte ich mir hingegen die Frage, warum die Menschen von zwei unterschiedlichen Realitäten sprachen, der wirklichen und der virtuellen. Ich konnte den Unterschied nicht erkennen und mir war klar, dass das ein und dieselbe Wirklichkeit ist. Heute glaube ich, dass man damals diese Unterscheidung gemacht hat, um der Generation vor der unseren diesen Übergang in eine neue Zeit leichter zu machen. Es war eine höfliche Lüge.