Es war eine tiefe Wolke. Wir hatten zulange gewartet. Als wir den Spi einholen wollten, fielen bereits die ersten Böen ein. Dann ging alles schief. Der Bergeschlauch liess sich nicht herunterziehen, wir liessen die Luvschot sausen und versuchten das Segel einzuholen, indem Anna es langsam am Fall herabließ, während ich es an der dünnen Bergeleine versuchte, aufs Boot zu ziehen. Das Segel kam zuerst teilweise, dann immer mehr ins Wasser. Plötzlich fiel eine Böe ein, der Druck am Segel wurde durch Wind und Wasser zu groß, und die Leine rutschte mir durch die Finger. Das hat ordentliche Brandverletzungen hinterlassen. Es dauerte noch eine Weile, bis wir das nasse Segel in der vorderen Kabine hatten und Anna die Wunden versorgen konnte.
Auf einem Schiff dieser Größe ist ein Spinnaker nicht von zwei Leuten machbar. Das Ziel und die Zeit vor Augen waren wir zu wagemutig.
Die nächsten Tage werden also herausfordernd. Anna muss einen Teil der Dinge, die ich sonst mache, übernehmen. Auch Kochen wird mir nicht so leicht fallen und ich fürchte, an Abwaschen ist auch nicht zu denken. Wir haben die Wunden gut versorgt, im Moment schmerzen sie nicht.
Wie Ihr wisst, geht es in unserem Kinofilm „The Last Dialogue“ um die Veränderung des staatlichen österreichischen Geschichtsnarratives. Die 1978 errichtete Dauerausstellung der Republik Österreich begann mit einer 12 Meter breiten Wand, auf der zu lesen war „Österreich erstes Opfer des Nationalsozialismus“. Nach der Affäre Waldheim und der Rede von BK Vranitzky 1991, in der er die Mittäterschaft der Österreicher außer Frage stellte, war dieser Satz nicht mehr richtig. Er hatte am Ende des analogen Zeitalters in einer Rede die Erzählung unseres Landes für immer verändert – und wurde dafür auch von vielen Konservativen und dem (Austro) Faschismus nahestehenden gehasst. Aber war der Satz „Österreich erstes Opfer“ deswegen falsch?
In der Moskauer Deklaration hatten die späteren Siegermächte und China eine Aufteilung der Einflussspähren dieses Planten festgeschrieben. Aus der europäischen Frage hielt sich China heraus. Das war Oktober 1943 und markiert damit den Zeitpunkt, zu dem sich die Welt sicher war, wie dieser Krieg enden würde. (Es drückt mir immer noch die Kehle zu, dass zu diesem Zeitpunkt die industrielle Ausrottung der Juden erst so richtig begonnen hatte – also zu einem Zeitpunkt, da auch die Deutschen wussten, dass dieser Krieg längst verloren war.)
Bezüglich Österreich stellten die Siegermächte in der Deklaration fest, dass es Opfer der nazideutschen Aggression war, reklamierten den Anschluss als null und nichtig und beschlossen, dass Österreich innerhalb seiner Grenzen von 1938 wiederhergestellt werden sollte. Wenn – und das ist der erhebliche zweite Teil der Deklaration, der in vielen Erzählungen gern ausgelassen wird – Österreich genug Initiative zu seiner eigenen Befreiung zeigen würde.
Dies fand freilich nicht statt, abgesehen von den wenigen Widerstandbewegungen, die aber 1943 bereits allesamt defakto ausgerottet waren. Dennoch drückten die Siegermächte beide Augen fest zu. Man wollte ein kleines, neutrales Land als Buffer zwischen den entstehenden Blöcken, die sich nach Kriegsende in der atomaren Aufrüstung des Kalten Krieges gegenüberstehen würden.
Gemacht wurde die Ausstellung 1978 von Überlebenden des Lagers Auschwitz – allesamt politische Gefangene, die mit der Todesfabrik Birkenau nicht in Berührung gekommen waren. Unter ihnen waren auch einige Spanienkämpfer. Aus ihrer Perspektive ist der Satz „Österreich war das erste Opfer“ nachvollziehbar, denn sie hatten ja zu den wenigen gehört, die ihr Land vergeblich vor dem Nationalsozialismus zu retten versuchten.
Dass dieser Satz im Nachkriegsnarrativ für die Reinwaschung unseres Landes und seiner Bevölkerung vom größten Völkermord aller Zeiten diente, ist ihnen nicht anzulasten, machte den Satz aber, gerade nach der Affäre Waldheim und der Machtübernahme Jörg Haiders in der FPÖ untragbar.
Für den Film hatte ich den Historiker Prof. Neubauer, ein Mitgestalter und wissenschaftlicher Begleiter der 78er Ausstellung, zu einem Interview eingeladen. Ich wollte mit ihm über Geschichtsnarrative, ihre Bedeutung und ihre Veränderung sprechen. Neubauer lehnte die Einladung mehrmals mit der Begründung ab, dass er nur über wissenschaftliche Fakten spreche und ihn Narrative nicht interessierten. Ein eingehendes und höchst aufschlussreiches dreistündiges Gespräch zu dem Thema führt ich dann mit Gerhard Botz. Neubauers Standpunkt kann ich bis heute schwer nachvollziehen.
Die Faktenlage ist in allen Interpretationen dieselbe. Die Geschichte, die daraus resultiert, also das, was unsere Realität bis heute maßgeblich formt, grundlegend unterschiedlich. Ich weiß leider nicht, ob Neubauer auch dieser Meinung ist, aber vielfach wird semantisch mit dem Argument operiert, dass zwar „viele Österreicher“ Täter waren, aber „Österreich“ nun mal das erste Oper gewesen sei, weil es das erste von Nazideutschland besetzte Land war.
Selbst dieser Erzählung kann ich mich nicht anschließen. Das erste Opfer der Nationalsozialisten, wo auch immer sie hinkamen, waren immer die Juden. Dollfuss und Schuschnigg hatten die erste Republik mit einem Taschenspielertrick ausgehebelt und in eine faschistische Diktatur verwandelt, die weder wirtschaftlich noch politisch lebensfähig war. „Die Österreicher“ und damit das Österreich, das Schuschnigg am Obersalzberg vertrat, wollten – wie schon 1918 – den Anschluss ans deutsche Reich. Parteiübergreifend, übrigens. Die Volksabstimmung, die Hitler im März 38 über den Anschluss abhalten liess, wäre zu jedem anderen Zeitpunkt zwischen 1918 und 45 vielleicht nicht so überragend, aber nicht weniger eindeutig ausgegangen. Der mit Pathos von Schuschnigg vorgetragene Satz „Gott schütze Österreich“ hat für mich dabei einen besonders larmoyanten Beigeschmack und diente viele Jahrzehnte in erster Linie der Ehrenrettung der ÖVP, die eine Menge unglaublich schwerer politischer Fehler in den 30er Jahren gemacht hat. Diesbezüglich versucht sich Österreich in seiner Version der Geschichte bis heute etwas vorzumachen.
Egal aber, ob wir von den Taliban und den fünftausend Jahre alten Buddhastatuen oder der österreichischen Zeitgeschichte sprechen: Durch die Veränderung der Erzählung werden wir zu Zeitreisenden, die in der Vergangenheit Dinge verändern, die sich auf unsere Gegenwart auswirken! Wir ändern nicht die Handlungsabläufe, wir ändern nicht die Fakten, aber die Erkenntnis daraus ändern wir, indem wir anders darüber erzählen – und diese formt unsere Wirklichkeit. Erkenntnis schafft Realität, nicht Fakten!
Was aber, wenn das nicht nur rückwärts funktioniert? Also wenn wir auch die Erzählung einer – nahen wie fernen – Zukunft in unseren Händen halten?
Anna ist noch ziemlich fertig von der Nacht. Mir geht es, abgesehen von den Blasen auf meinen Händen, gut. Unser Etmal betrug 133nm , das ist ok. Wir versuchen das Schiff auf Tempo zu halten, indem wir die Batterien in der Nachmittagsflaute laden und die Schraube bei geringer Drehzahl mitlaufen lassen. Den Rest des Tages und der Nacht war der Wind immer so, dass wir über 6kt. schnell waren.
Ein prachtvoller Sonnenuntergang in sanften Farben. Hoffentlich wird diese Nacht ruhig. Wir haben den Verband gewechselt. Die Wunde an der rechten Hand ist ziemlich tief. Nach Konferenz mit Ina haben wir eines dieser Hydrokolloid Spezialpflaster verwendet, welches die Feuchtigkeit der Wunde absorbiert. Eine Art Blasenpflaster. Wir müssen sehen, dass wir davon noch welche bekommen – so, wie das aussieht, wird es noch einige Verbandswechsel geben müssen, ehe diese Wunden verheilt sind.