Mühsam kämpfen wir uns durch das Chaos, das die äquatoriale Gegenströmung auslöst, nach Norden. Am Morgen sind einige Squalls durchgezogen. Wir haben gerefft, sind ein Stück motort, das war alles sehr langsam. Aber bei den Squalls weisst Du nie, was in der Wolke steckt, welche Thermik sie erzeugt und wie stark die Böen werden. Das Meer ist nicht wild, aber ruppig, wie ein schlechter Feldweg. Anna hat geschlafen, ist gut gelaunt und hat mir Früchteyoghurt gemacht. Der Rest ist ein Geduldsspiel, bis wir in die Nordäquatorialströmung kommen. Ich schätze mal, das werden noch 120-140 Meilen sein. Zach.
Sind Gut und Böse Eigenschaften, die einem Menschen tatsächlich zuordenbar sind? Die alte Frage, ob der Mensch bereits als gutes oder böses Wesen zur Welt kommt, oder ob er erst durch seine Entwicklung dazu gemacht wird, beschäftigt Philosophen und Theologen seit Jahrhunderten. Dabei ist die Zuordnung, was Böse und was Gut ist, uns nicht so wichtig, wie die Gewissheit, dass es diese Gegensätze gibt. Wir, die analogen Menschen, brauchen Nullen und Einsen, Schwarz und Weiß, Yin und Yang.
Die Polarität selbst und ihre Entdeckung stets aufs neue sind der große Motor unserer Kulturgeschichte von ihren Anfängen bis heute. Das Zusammenprallen der Gegensätze ist für uns Menschen wichtiger als die Erfindung des Rades. Jede Erzählung beruht darauf, jedes Musikstück, jedes Bild – jedes Kunstwerk. Das Aufstellen einer Hypothese und das Widerlegen derselben durch eine Antithese sind bis heute essentielle Herangehensweisen in Wissenschaft und Forschung.
Aus dem Gegensatz, der Konkurrenz, beziehungsweise dem Konflikt als höchste Form der Gegensätzlichkeit entsteht die Dramaturgie – durch die Erzählung einander gegenüberstehender Fakten oder Behauptungen, durch den Kampf des Helden mit dem Antagonisten entsteht durch die Kunst der Dramaturgie emotionale Erkenntnis. Wir verinnerlichen so die Vorgänge dieser Welt, seien es konkret messbare oder ewig unergründliche wie die Liebe.
Durch die Dramaturgie werden Emotionen freigesetzt. Je höher die Regler nach oben geschoben werden, desto besser die Geschichte, desto stärker sind unsere Gefühle. Konflikt ist daher besser als Konkurrenz als blosser Gegensatz. Mit anderen Worten: Ohne Krokodil ist der Kasperl so fad wie eine lauwarme Packerlsuppe.
Vor einigen Wochen hat Renata Schmidtkunz auf Ö1 ein langes Gespräch mit jemandem geführt, der zu den sogenannten Coronaleugnern bzw.jenen gehört hatte, der sich durch Kritik an den Maßnahmen der Regierung zu profilieren versuchte. Sie wurde scharf dafür kritisiert, sogar von Armin Wolf persönlich.
Dabei hat sie in meinen Augen etwas sehr wichtiges getan, etwas, was der Bewältigung der Krise bis dahin – und auch jetzt – gefehlt hat: Sie hat dem Antagonisten eine Bühne gegeben!
Wenn der Bösewicht nämlich nicht auftritt, gibt es – richtig! – keine Geschichte, keine Erzählung, keine Emotion, keinen „Sieg des Guten“. Es gibt kein Ende der Geschichte, und nichts ist uns im Moment so wichtig wie das Ende dieser Episode!
Um Gegensätze in sich wendenden Handlungsanläufen um den Sieg ringen zu lassen, braucht es zuerst diese selbst. Es braucht Lager, Blöcke, Feinde. Das haben unsere Spindoktoren und Journalisten alles im kleinen Finger, damit halten sie uns in einer ständigen Aufgeregtheit, was dank der Sozialen Medien heute leichter ist als je zuvor.
Spindoktoren und Journalisten sind mehrheitlich vor allem eines: Mangelhafte Dramaturgen. Sie wissen einen Konflikt oder gar eine Krise gut für sich nutzen, im Bedarfsfall können sie diese auch erzeugen oder künstlich am Leben erhalten. Sie haben nur einen Feind: Den 3. Akt! Denn mit dem 3. Akt ist die Story zu Ende. Das Gute siegt – oder besser: Das, was gesiegt hat, ist fortan das Gute.
Die wahre Kunst der Dramaturgie besteht aber darin, eine Lösung zu finden, bei der es keinen Verlierer gibt und dennoch das moralisch und ethisch Tadellose erfolgreich ist und dadurch die Welt ein Stück besser macht. Und das ist den oben Genannten so fremd wie dem Teufel das Weihwasser. Das ist der Grund für die permanente Hysterie, in der wir uns befinden, der permanenten Krise – die uns psychisch und physisch krank macht. Es ist der Grund, warum Aluhutträger zusammen mit Hippies den Bundestag stürmen, warum Trump Präsident werden konnte, warum Erdogan die Welt terrorisieren darf. Der Grund, warum unsere Tage gut beginnen und wir an deren Ende ausgelaugt und leer sind.
Im übrigen und gern vergessen existiert in der chinesischen Mythologie auch nicht bloß Yin und Yang. Das Wichtigste ist das „Tao“ – das, was nicht beschrieben werden kann, was aber weder Null noch Eins ist.
Um 1400 UTC stellten wir unser ETMAL mit 96 Meilen fest. Eine Katastrophe! Wir kommen praktisch nicht vom Fleck. Lange SMS Konferenzen mit Max in Wien, dann noch mal die Pilot Charts gecheckt (Monatskarten) und unseren Plan geändert. Wir laufen nun unter Motor in leichten Winden einen rein westlichen Kurs, zurück Richtung Küste, wo die Strömung wieder mit uns arbeiten sollte. Das sollte spätestens beim 50. Längengrad sein, zur Zeit sind wir beim 47.ten. Ich schätze, wir haben einen ganzen Tag verloren. Aber das ist nicht zu ändern, wir müssen jetzt das beste draus machen. Dafür war unsere Sorge bezüglich des Brauchwassers auf einen Fehler bei der Anzeige zurückzuführen. Das ist die gute Nachricht.
Wir hatten uns schon auf eine lange, mühsame Motorfahrt eingestellt, aber tatsächlich waren wir bereits knapp 15 Meilen später aus der behindernden Strömung raus. Fahrt durchs Wasser und Fahrt über Grund sind ungefähr gleich, eine Regenfront hat uns erwischt und mit der kühlen Luft kam guter Wind, der uns nun voranschiebt. Das macht Grund zur Hoffnung, dass wir auch bald die andere Strömung erreichen, die uns zu den Kleinen Antillen tragen soll!