Es mag ein wenig ungeordnet klingen, was ich in den letzten Tagen geschrieben habe. Ist es auch. Ich habe es ohne Plan geschrieben, offenbar brannte es auf meiner Seele. Und natürlich stelle ich mir auch die Frage „Welchen Wert habe ich? Was trage ich bei?“. Ich stelle mir die Frage, ob das, was ich tue, das ich nicht einmal benennen kann, irgendeinen Wert für irgendjemanden hat? Aber auch das ist ein Aspekt einer größeren Bevölkerungsdichte: Es gibt auch ein größeres Spartenpublikum!
Anna liegt auf der Bank und liest Paul Watzlawicks „Wie wirklich ist die Wirklichkeit“. Ehrlich. Ich bin in haltloses innerliches Gelächter ausgebrochen. Ein Buch, das – soweit ich mich erinnere – vor allem Journalisten gelesen haben sollten.
Ein Journalist ist jemand, der eine Nachricht verkauft und sie – bewusst oder unbewusst – in das Narrativ seines Brötchengebers einflicht. Gelegentlich gelingt es ihm/ihr auch umgekehrt das Narrativ des Arbeitgebers zu beeinflussen. Das sind aber die seltenen Ausnahmen – und sehr von den Regierungsformen der jeweiligen Länder abhängig.
Ein User, der in den sozialen Medien tätig ist, ist sich weder seiner Rolle noch seiner Möglichkeiten bewusst. Er ist sich vielfach auch weder über den persönlichen Gewinn noch den persönlichen Verlust im Klaren – was er tut und was er fühlt, ist (noch) nicht reflektiert. Der Gewinn liegt vordergründig in einer zusätzlichen Dimension der Verbindung zu Freunden, Familienmitgliedern, Bekannten. Ein engeres Teilhaben am Leben des jeweils Anderen. Diese Vernetzung bringt neben dem guten Gefühl, nicht alleine zu sein und mit einer vermeintlichen Steigerung des Selbst- und Persönlichkeitswerts einen Verlust an Privatheit. Wer aber einen Social Media Faux Pas begeht, absichtlich oder unabsichtlich „auf der Maus ausrutscht“, wird dann wie eine Sau durchs gnadenlos durchs globale Dorf getrieben. Damit kommen die wenigsten zurecht. Zurück bleiben verängstigte, wütende, verwundete Menschen, die nach neuen Verbündeten suchen und sich in ihren (falschen) Positionen eingraben. Ein höfliches „Denk nochmal nach, ich glaube da irrst Du Dich“ bringt längst nicht soviele Likes wie ein „Seht Euch diesen Spinner an“.
Arbeitgeber monitoren längst die Socialmediaaktivitäten ihrer Angestellten. Politische Einstellungen und Haltungen, parteipolitische Präferenzen, Religion, Sexualität – alles liegt da wie ein offenes Buch, in denen die Logarithmen lesen können, ohne sich mit dem Schwachsinn beschäftigen zu müssen. Keine Timeline im Netz ist, wie auch dieses „geschützte“ Logbuch, letztlich privat. Und nein, wir haben nicht die Macht darüber, was öffentlich ist und was nicht. Das Netz gaukelt uns vor, der digitale Ersatz für jenes Medium zu sein, das wir einst mit „Mein liebes Tagebuch“ ansprachen.
Diese Verschiebung der drei Persönlichkeits- und Kommunikationsebenen Professionell – Persönlich – Privat ist der Hauptgrund für das, was wir als belastendes Chaos erleben, warum uns eine Welt, die bessere Lebensbedingungen denn je bietet, wie in einem einzigen Bedrohungs-, nein: Kriegszustand vorkommt.
Die Möglichkeit, jederzeit als Narrator aufzutreten und an der Erzählung unserer Geschichte mitzuwirken, überfordert uns in einer Welt, die auch noch nie so komplex war wie heute. Es gibt keine einfachen Schrauben mehr, an denen irgendein Herrscher eben mal drehen könnte, um Unheil abzuwenden. Kein Staatschef dieser Welt vermag die Wirkungskomplexität der Welt zu verstehen, kein Wissenschaftler sie zu erklären. Kein Finanzguru kann uns den völlig virtualisierten Finanz- und Wirtschaftsmarkt erklären. Kein Einzelner weiß wirklich, was er tut. Vielleicht war das schon immer so, wie auch immer: heute wissen jedenfalls alle, dass keiner weiß, was er tut. Und das gibt einem kein gutes und schon gar kein sicheres Gefühl.
Bestens und teuer ausgebildete Eliten, die nicht wissen, wie die Welt funktioniert? Das kommt nicht gut an, und da zählt sich rasch mal einer, der selbst zur Elite gehört, zu deren Gegnern.
Liegt unsere Existenzberechtigung in dem, was wir für diese Welt beizutragen haben – ohne dass dabei Gut oder Böse qualifizierbar wären? Ist Sein alleine nicht genug, müssen wir wirken? Oder ist es am Ende die Eitelkeit, die uns treibt? Die Sehnsucht nach der Gewissheit einzigartig zu sein? Wahrgenommen werden im Dasein wie im Verschwinden?
Bis zum Morgen segelten wir durch eine regelrechte Allee von Squalls, die sich nach Mitternacht gebildet hatten. Das Radar schlug im 20 Minuten Takt an, an Schlafen war nicht zu denken. nur einige Tropfen bekamen wir ab, der Rest zog knapp in unserem Heck oder vor unserem Bug durch. Unser Etmal beträgt stolze 155 Meilen.
Zwei Wochen sind wir nun auf See, vor zwei Wochen sahen wir die großen Rauchwolken über dem Festland aufsteigen, die Anna so erzürnt haben – und die ja auch mit der Frage zu tun haben, was und ob der Einzelne wohl etwas bewirken kann? Wir haben uns die Karten angesehen. Egal, wo wir hinfahren, solange wir nicht irrtümlich in den Pazifik abbiegen, wird das unser längster Schlag gewesen sein. In wenigen Stunden werden wir Barbados an unserem Steuerbordbug sehen.