La Linea de La Concepcion – Santa Cruz de La Palma
Um Euch nicht mit Mails zuzumüllen, habe ich beschloßen, die Etappen zusammenzufassen, wenn wir offline sind!
4. Jänner 2020 | Bullenstander
2130 UTC
Wir blieben bis Tarifa dicht an der spanischen Küste, ehe wir dann Richtung Cap Spartel drehten und die Strasse von Gibraltar bei ruhigem Wetter überquerten. Die Meerenge war übersäht von kleinen und mittelgroßen, größtenteils privaten Fischerbooten – Samstag Nachmittag! – zwischen denen die riesigen Frachtschiffe durchzogen und einander überholten, ehe sie sich hinter den Horizonten verloren.
Mit der Nacht kam auch der Wind. Zwischen drei und fünf Beaufort schieben uns aus achterlichen Richtungen an.kaum zu glauben, wie uns ähnliche Winde, nur eben auf anderen Kursen, vor kurzem noch gefordert haben.
Ich habe ein Reff ins Großsegel eingezogen, einige Prognosen meinten, der Wind könnte um Mitternacht zulegen. Da ich auf mitternächtliche Turnübungen keine Lust habe, nehmen wir als ein etwas geringeres Tempo vorerst in Kauf und haben Luft nach oben.
Morgen untertags werden wir das Vorsegel mit dem Spinnakerbaum „ausbaumen“, also vom Mast hinausspreizen, da wir zu Zeit nicht ganz den Kurs laufen können, den wir gerne steuern würden.
Anna ist eben schlafen gegangen, ich übernehme die Wache bis 0200. Es ist milder, als gedacht.
2330 UTC
Erstaunlich viele Lichter von Fischern sind zu sehen, die bis weit vor die maraokkanische Küste herausfahren, und auch einige Frachtschiffe begegnen uns noch, welche die an unserem Backbordbug der afrikanischen Küste entlang fahren, und andere, die steuerbords über den Atlantik kommen. Das Reff habe ich wieder aus dem Segel genommen, und einen sogenannten Bullenstander installiert, das ist, für die Landratten unter euch, ein Schnürl, das ein Stangl, an dem ein Segel hängt, am unkontrollierten Umherschlagen hindert. Prinzipiell also eine gute Sache.
Die Nachtwachen laden auch ein, nachzudenken und aufzuräumen, so ganz allein am Meer. Ich werde also Mitternachtssnacks nachreichen….
5. Jänner 2020 | Alles hat mit allem zu tun
Das Gehirn von Männern, sagt man, funktioniere in Schachteln. Jedes Problem hätte eine eigene Schachtel, und wir wären bedacht, dass ja keine Schachtel auch nur ansatzweise eine andere berührt. Bei Frauen hingegen sei immer alles mit allem verbunden, was bis bisweilen ein heilloses Durcheinander anrichten kann.
0100 UTC
Der Wind hat wieder nachgelassen. Wir segeln noch, aber wir sind langsam. Vielleicht ist es zu früh, sich den Kopf zu zerbrechen. Warten wir also die Nacht ab.
0845 UTC N 35•17,2´ | W 007•15,7´
Max war ziemlich durchgekühlt, als Anna ihn um 0600 abgelöst hat. Wir messen zwar 15 Grad Lufttemperatur, aber Müdigkeit, der leichte Wind und die Luftfeuchtigkeit setzen einem schon zu.
Die Nacht war aber gewissermaßen erhellend, und wir haben einige Aufgaben zu lösen!
In einer Stunde tragen wir unser erstes „Etmal“ ein, so nennt man jene Distanz, die ein Schiff in exakt 24 Stunden zurückgelegt hat. Ich kann aber schon jetzt sagen: Wir sind zu langsam und liegen deutlich hinter unserem Plansoll zurück, sollten wir doch den 35. Breitengrad eigentlich jetzt passieren, wovon keine Rede sein kann. Die elektronische Kursauzeichnung errechnet bisher einen Schnitt von 4,7 Knoten, 5 sollten wir zumindest erreichen! Andererseits war die Nacht ruhig und gemütlich, das langsame Dahinplätschern hat einen herrlichen Schlaf möglich gemacht, während die gut und gerne zwei Meter hohen, aber sehr langen Wellen unmerklich unter unserem Rumpf durchzogen.
Seit 0800 läuft der Motor zusätzlich zu den Segeln. Jetzt machen wir natürlich Tempo. Wir wollen nach Möglichkeit den veranschlagten Zeitplan nicht wesentlich überschreiten, damit sich niemand sorgt. Außerdem laden wir so unsere Batterien, denn wir waren nicht nur zu langsam, sondern haben auch zu viel Strom verbraucht – und das wirkt sich wiederum auf unseren Speiseplan aus. Ich werde heute Kartoffel (was sonst?) mit Zucchini machen und jene Zucchini, die dann noch übrig sind, in den den Hauptkühlschrank legen. Dann können wir den zweiten Kühlschrank ganz klein drehen oder ganz ausschalten, weil kaum noch wirklich Verderbliches dort gelagert wird.
Die Tage sind kurz und die Sonne steigt noch nicht sehr hoch, die Solarpanele erzielen also nicht die Wirkung wie im mediterranen. sommer. Daher werden wir auch das Radar unter Segel nur noch benutzen, wenn es notwendig und nicht weil es annehmlich ist. Nein, gefährlich ist das nicht. Zum einen ist die Sicht gut, und zum anderen hört man die Schiffe lang im vorhinein. Selbst ich mit meinem Tinitus bin bei meiner Wache in der Nacht kurz eingenickt und durch das Brummen erst eines Fischers, dann eines Frachters aufgewacht. Und die sind nicht wirklich „nahe“ an uns vorbei gefahren.
Zudem werde ich bei nächster Gelegenheit unsere Positionslichter auf LED umzurüsten. – Ein Auftrag!
Die vierte Erkenntnis ist die, dass wir uns zur Zeit am unteren Ende der Windprognosen befinden. Unser Kurs ist westlich genug, um in den nächsten 24 Stunden zumindest abschnittsweise mit annehmbarer Geschwindigkeit segeln zu können. Allerdings sind meine Wetterdaten jetzt schon 24 Stunden alt, und das Wettertelex (Navtex), das vorhin reinkam, meinte nur lapidar: Casablanca N to NE, 3-4 Beaufort. Für internetverwöhnte Wetterprognosefetischisten, die am liebsten alle 100 Meter einen eigenen Windpfeil auf einer bunten Karte sehen würden, ist das natürlich herbe Kost.
1000 UTC | N 35•14´ | W 007•23´ – 24 Stunden auf See.
Die elektronische Aufzeichnung weist 117 Meilen aus – mit allen Kurven, die wir gemacht haben. Ich trage die Position auf der Karte ein und messe 110 Meilen Luftlinie von Gibraltar. Das kommt ins Logbuch. 660 Meilen liegen noch vor uns.
1930 | N 34•49´ W 008•10´
Nun motorsegeln wir wieder, mit geringer Drehzahl, um Diesel zu sparen. Der einfache Plastikhocker, den ich beim Chinesen in La Linea gekauft habe, ist zum beliebten Watch Chair geworden. Während die Beine in die Kabine sind, sitzt man an dem Platz im Cockpit, wo man den besten Ausblick hat und kann, wie es Anna gerade tut, auf der Fläche vor den Instrumenten gut am Computer arbeiten oder lesen.
Wir entwickeln unterschiedliche Schlafrhythmen und Abläufe, wobei die Zeiten vor und nach den Nachtwachen als längste Schlafeinheiten genutzt werden. Max, der die wirklich harte Wache von 0200 bis 0600 hat, schläft eher länger im Stück durch, was sehr gut ist, während ich eher kürzere Einheiten pflege und meist auch im Salon liege. Alles in allem funktioniert die Einteilung so recht gut und es kehrt langsam so etwas wie Routine ein. Hoffen wir, dass alles so bleibt!
2100 UTC
Eben kam das Wettertelex rein. Morgen soll der Wind zunehmen. Das deckt sich mit den Prognosen, die ich noch habe.
5. Jänner 2020 | Nachtwache
0000 UTC
Das Meer ist weit und je weiter wir uns von den beiden Kontinenten entfernen, desto seltener werden Lichter. Manchmal ist dennoch viel zu tun, weil der Wind sich ändert, eine Suppe zubereitet oder der nächste Landfall studiert werden wollen. Manchmal ist aber auch viel Zeit. Eine Zeit, in der die Gedanken über diese endlose Weite schweifen können, in ihren zahllosen Schattierungen, in manchen Nächten taghell, in anderen stockfinster.
Passagier 29
Die Sierra Nevada, ein Schiff der Norddeutschen Lloyd, verlässt am 14. November 1932 Bremen. Sie steuert Buenos Aires an. Auf der Passagierliste wird an neunundzwanzigster Stelle in der 3. Klasse ein dreiundreißigjähriger, verheirateter Bäckermeister und Kaufmann aus Hermagor in Kärnten geführt, der, wie viele andere auch, eine Zukunft in Südamerika sucht.
Bereits in den 1820er Jahren setzt eine beispiellose Emigrationswelle aus Europa ein, viele Millionen Menschen machen sich auf den Weg, um wo anders, vor allem aber in Südamerika, eine neue Existgrundlage zu finden, die sie in Europa nicht mehr vorfinden. Zu Beginn des 20.Jh. erreicht die Welle ihren Höhepunkt. Allein über Bremerhaven verlaßen mehr als 200.000 Europäer pro Jahr den Kontinent und ein Ende ist nicht abzusehen. Das letzte Auswandererschiff wird erst Anfang der 1970er Jahre ablegen.
Hundertfünfzig Jahre hält diese Auswanderungswelle an, von der viele nichts mehr wissen, und ich wüsste wohl auch nichts davon, wäre eben jener Passagier 29 auf der Sierra Nevada nicht mein Großvater gewesen, und hätte ich die Passagierliste nicht – zufällig – im Internet gefunden. Das ist freilich nur ein Fragment einer Geschichte, die mir nie erzählt wurde.
6. Jänner 2020 | Helles Licht und Dunkelheit
0000 UTC | N 34•35´ | W 008•32,7´
Eine bewölkte, aber helle Nacht.
Der Wind hat leicht zugelegt auf 3 Beaufort und wir machen gute Fahrt unter Segeln. Vor wenigen Minuten haben uns zwei Frachter passiert, die unglaublich schnell, aber auch weithin sichtbar waren.
0630 UTC | N 34•16 | W 008•59
Den Wachwechsel habe ich nur am Rande mitbekommen, so tief habe ich geschlafen. Vor wenigen Augenblicken hat der Wind gedreht, und wir haben den Motor eingeschalten, um jetzt unsere Batterien wieder zu laden. Wir sind noch immer genau auf der ECMWF Prognose von Samstag. Wir waren schnell. Und wir haben weniger Strom verbraucht. Das Essen fand auch Anklang.
1000 UTC | N 34•02´ | W 009•13´
Unser letztes Etmal = 117 Seemeilen. Nicht berauschend, aber ok. Noch 543 Meilen, also noch 5 Tage.
1700 | N 33•39´ | W 009•42´
Der Wind schläft ein. Wir suchen einen Kurs, an dem das Schiff nicht zu stark rollt. Kaum stehen wir schlecht in der Welle, herrscht mächtig Bewegung. In den Morgenstunden soll wieder Wind kommen.
Wir haben zu wenig Obst mit. Bananen, Mandarinen und die meisten Äpfel sind weg, das frische Brot ist auch weg. Max und Anna lieben es zu „snacken“. Jeder versucht mit kleinen Schlafeinheiten durchzukommen. Ständig ist was zu tun, meistens kochen, aufräumen oder abwaschen.
6. Jänner 2020 | Nachtwache
Eine Kiste
Nachdem meine Großmutter Friederike, »die Fritzi«, vor etwas über zehn Jahren verstorben war, bekam ich aus aus ihrem Nachlass einen Karton. Es war das Einzige, das mir von ihr in die Hände fiel. Hinterlassen hatte sie mir nichts, zumindest nicht in testamentarischer Form, und so war es auch nicht ihr letzter Wille, dass ich die Kiste bekam, was weiter nicht schlimm gewesen wäre, denn auch ich hatte mich keineswegs für ihre Hinterlassenschaft interessiert.
Ihr Inhalt bestand hauptsächlich aus Fotos. Die meisten Bilder zeigten meine Großmutter in verschiedenen Altersabschnitten, sie war Zeit ihres Lebens eitel gewesen. Auf einigen Bildern war sie auch zusammen mit ihrem dritten – eigentlich zweiten – Mann Herbert zu sehen, den ich als meinen Großvater kennengelernt hatte.
Und dann waren da noch Bilder von ihr, die wohl irgendwann in den 1920er Jahren entstanden sein müssen. Eines zeigte sie mit einer unter den Arm geklemmten Geige, burschikos hergerichtet, mit weisser Strumpfhose, drüber eine knielange Hose, einer frackähnlichen Jacke und einem weißen Rüschenhemd, ein anderes mit einer riesigen Dogge, neben der sie kniet.
Die Bilder widerten mich augenblicklich an, obwohl ich eigentlich nicht sagen kann, warum. Schnell schloß ich die Schachtel und verräumte sie. Zwei Tage später holte ich sie wieder hervor und brachte sie zu meinem Bruder. Ich sagte ihm, dass ich eine starke Abneigung empfand und ich den Karton nicht in meinem Haus haben wollte. Ich konnte das Paket nicht einfach entsorgen, ohne ihn vorher zu fragen, ob er es nicht haben wollte.
Mein Bruder starb elf Jahre nach meiner Großmutter, viel zu früh und zu einem Zeitpunkt, als ich bereits zwei Jahre an »The Last Dialogue« gearbeitet hatte, und tief in die Geschichten von Zeitzeugen des Nationalsozialismus und Überlebenden des Holocaust eingetaucht war, die diese ihren Enkelkindern vor unseren Kameras erzählt hatten.
Natürlich hatte ich den Karton sofort wieder erkannt, als ich die letzte Wohnung, in der mein Bruder gelebt hatte, zusammen mit seinen beiden Töchtern vor einem Jahr räumte. Eigentlich hätte die Schachtel zusammen mit den Möbeln und den Tonnen an Büchern, die mein Bruder besaß, in die eigens dafür als Lager gemietete Garage in unserem Hof kommen sollen, doch in dem Durcheinander der vielen helfenden Hände landete die Kiste in meinem Büro. Ich schob sie hinter meinen Schreibtisch an einen Platz, wo sie nicht im Weg war.
Ohne Vorsatz und viel eher aus Unachtsamkeit öffnete ich einige Wochen später den zweiten Karton. Auch darin waren Fotos. Und Briefe. Und eine zweite, kleinere Metallschachtel, die ebenfalls voll mit Briefen war. Und dann war da noch eine schwarze Ledermappe mit Dokumenten. Vielen Dokumenten. Die Geschichte ist kompliziert.
7. Jänner 2020 | Halbe Distanz
0915 UTC |
Eine extrem schwierige Nacht. Der Wind hat aufgefrischt und etwas gedreht. Ich habe um Mitternacht eine Halse gemacht. Eine Viechshaken, einhand, alles umbauen, Backstagen, Bullenstander, alles angeleint, eh klar, und mit ziemlichen Bewegungen.
Wir waren irre schnell, aber leider war da auch Schwell aus der falschen Richtung, es hat gekracht und gegrammelt, an Schlafen war kaum zu denken. Max hat eine Stunde vor Wachende aufgegeben, dann war Anna kurz dran, aber auch schon müde, weil nicht geschlafen. Jetzt habe ich wieder übernommen, und die beiden schlafen. Mir ist es gelungen die Lage geringfügig zu verbessern. Das Großsegel ist auf raumen Kurs stark gerefft und dicht geholt, nur noch dazu da, um das Rollen zu stabilisieren. Das haut soweit hin im Moment. Den Bullenstander habe ich dahingehend verändert, sodass ich nicht mehr jedesmal aus dem Cockpit muss, wenn ich die Segelstellung verändern möchte. Trotzdem werde ich das in Santa Cruz noch weiter verbessern.
Gestern kam kein Navtex mehr rein, dafür heute morgen. Es soll zumindest bis Donnerstag so bleiben.
So. Und das ist nun unsere Aufgabe. Wir müssen diese Lage so gut wie möglich hinbekommen und eine Routine finden. Ich gebe auch Thunfischverbot aus, die beiden haben Unmengen an Thunfischdosen verdrückt, während ich schlief. Das kann nicht gsund sein.
Als ich vorhin am Vordeck werkte, fand ich den ersten fliegenden Fisch, armer Kerl, mit uns kollidiert.
1000 UTC
Etmal = 120 Meilen. Brav. 4 Tage noch!
1600 UTC
Der Wind hat sich auf NNE mit 4 Bft eingependelt, also ein klein wenig nachgelassen, auch das Wasser ist nicht mehr ganz so ruppig, Wir haben ein bisschen Klarschiff gemacht, gegessen – Kartoffel heute mit Truthahnfilets. Die habe ich allerdings geschnetzelt, weil nicht dran zu denken war, den Teller hinzustellen.
1730 | N 32•36´ | W 011•41,6´
Endlich kurz geschlafen. Das Segel Setup funktioniert ganz gut, wir kommen gut voran. Halbe Distanz!
7. Jänner | Nachtwache
Verlierer
Ich begann also die Dokumente aus der Mappe zu lesen und bereits nach wenigen Stücken entschied ich mich, im Zuge dessen gleich alles zu scannen, einige der Schriftstücke sind über hundert Jahre alt. Vielleicht interessiert sich ja einmal jemand aus unserer Familie dafür, oder jemand anderer, und wenn nicht – auch egal.
Geht es im Leben nicht eher darum, den Ballast loszuwerden und die gute Luft unter unseren Flügeln zu sammeln, die uns Auftrieb verleiht? Geht es nicht darum, sich endlich von dem katholischen Unfug der Erbsünde zu lösen? Aber warum sind die Minenfelder trotzdem da, die uns irgendjemand, den wir möglicherweise nicht mal persönlich gekannt haben, in unseren Rucksack stopft – ohne zu fragen! Traumata und Generationen – ein großes Thema. Gerade in und für Österreich, mit all seinen kleinen Schwindeleien und vor allem den aggressiven, großen Lügen.
Ich verstehe, dass sich eine Gesellschaft, ein Land wie Österreich irgendwie aufrichten musste, nach dem beiden Weltkriegen zu Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein finden musste. Zwei Weltkriege in nicht einmal 30 Jahren zu verlieren, von der Weltmacht zur bedeutungslosen Briefmarke zu schrumpfen, muss erst verdaut werden. Die Menschen, die noch in unserem Land lebten oder heimkehrten, waren allesamt nicht nur Verlier, sie waren vor allem auch Täter. Durch den fanatischen Judenhass und dem daraus resultierenden Holocaust hatten gerade die Österreicher, aber natürlich auch die Ungarn und Deutschen – im Grunde genommen ihre Existenzberechtigung verwirkt – wenn man das von jenen Moral- und Wertevorstellungen betrachtet, unter denen ich und, wie ich hoffe, große Teile zumindest meiner Generation geprägt wurden.
Die Unterscheidung zwischen dem Staat Österreich, der Opfer Hitlerdeutschlands gewesen sein soll, und vielen Österreichern, die sich als Mitläufer und Täter schuldig gemacht hätten, halte ich für semantisch nachvollziehbare Nachkriegsaussenpolitik, aber inhaltlich finde ich keinerlei Untermauerung für diese rhetorische Kapriole. Der Staat Österreich war kein Opfer, die Bevölkerung, der Staat, hat Hitler jubelnd willkommen geheissen. Was man 1918 wollte, hatte sich für die Österreicher und damit gleichermaßen den Staat Österreich 1938 erfüllt. Widerstand? Jede und jeder Einzelne, der Widerstand geleistet hat, kann nicht genug gewürdigt werden. Aber es war nur einzelne, ganz wenige. »Der Widerstand« war nicht nennenswert und kann beispielsweise mit der »Resistance« in Frankreich nicht vergleichen werden. Immer wieder habe ich die Zeilen von Carl Zuckmayer vor Augen, der die antisemtischen Ausschreitungen in Wien am Vorabend des Einmarsches so beschreibt: »An diesem Abend brach die Hölle los. Die Unterwelt hatte ihre Pforten aufgetan und die niedrigsten, scheußlichsten, unreinsten Geister losgelassen. Die Stadt verwandelte sich in Alptraumgemälde des Hieronymus Bosch: ….«
Weder der Staat Österreich noch die Österreicher haben Widerstand geleistet, weil weder Staat noch Bevölkerung Widerstand leisten wollten. Diese Ehrlichkeit sind wir uns und den uns folgenden Generationen schuldig.
In meiner Erinnerung sehe ich wenigstens zwei, wenn nicht drei gut und gerne fünf Meter lange Regalbretter in der dunkelroten Bibliothek meines Vaters, die ausschließlich mit Büchern befüllt waren, die sich mit der Frage beschäftigten, wie Hitler möglich war. Erklären konnte er es nicht. Er war Jahrgang 1930.
8. Jänner 2020 | Klabautermann
1000 UTC| N 31•52´ | W 13•23´
Etmal = 140nm. Das ist gut! Wenn wir das Tempo halten, kommen wir vielleicht schon Freitag Abend an. Die Chancen stehen nicht schlecht, der WFC, der vorhin reinkam, sagt voraus, dass die Bedingungen gleich bleiben und das bedeutet, dass wir weiterhin einen Nordostwind mit 4-5 Beaufort haben werden. Das ist noch nicht der Passat, aber ihm ähnlich, und es deckt sich noch immer mit der letzte Prognose, die mittlerweile 5 Tage alt ist. Die Wellen schätze ich auf zwei Meter, sie sind lang. Das Rollen hält sich in Grenzen, ist aber gewöhnungsbedürftig. Wenn wir mit ähnlichen Bedingungen auf unserem nächsten Abschnitt rechnen können, werde ich „kleine“ Fok drauflassen. Die taugt eigentliche auf allen Kursen bis ca. 25 Knoten, also 6 Beaufort, ohne gerefft werden zu müssen. Ich hatte ja bereits überlegt, ob ich nicht die alte Genua raushole, die doch empfindlich größer ist, und bei leichten Winden Tempo macht. Allerdings ist das ein riesiges Segel, das ab 4 Beaufort gerefft werden will. Viel Arbeit für eine kleine Crew, und die Segler unter Euch wissen, dass ein gerefftes Segel keine gute Performance hat. Das Großsegel haben wir noch kleiner gemacht, um einen besseren Trim zu erreichen.
Dafür ist ein anderes Problem aufgetaucht, das mir Sorgen macht. Vor rund zwei Tagen hat der Dieseltank begonnen bei gewissen Schiffsbewegungen Geräusche zu machen. Da hab ich das noch auf sich beruhen lassen, wir hatten ja in Gibraltar voll getankt, und es ist üblich, dass, sobald nur ein wenig Diesel fehlt, die Flüssigkeit im Tank durch die Bewegung gegen die Tankwand schlägt, die aus Niro ist und diese sich dann wölbt, was zu einem gongähnlichen, dumpfen Ton führt. Auch beim Tanken hört man so einen „Schlag“, knapp bevor der Tank voll ist, weil sich da das Niro auch nach außen wölbt. Dieses Phänomen verändert sich aber, wenn Diesel entnommen wird, normalerweise.
Dem ist nicht so, und die Suche nach der Ursache hat gestern begonnen, und das ist auf einem Schiff mehr als nur trickreich, viele Komponenten wirken, es gibt hunderte Geräuschquellen. Ein kleines, an Deck kaum wahrnehmbares Klappern kann unter Deck ein nerviges, lautes Klopfen sein, und seine Ursache kann sonst wo liegen. Ich halte es zwar für unwahrscheinlich, dass das etwas im Tank ist – was sollte es sein? – die Tankanzeige funktioniert korrekt und ausser deren Geber ist da nicht viel drin, aber wir werden es in Santa Cruz kontrollieren. Die To Do Liste wird jedenfalls immer länger!
Ich dachte also, dass es klug wäre, das Geräusch aufzunehmen, um es vielleicht einem Mechaniker vorspielen zu können, denn im Hafen, wenn das Schiff ruhig liegt, wird man es nicht hören. Was soll ich sagen? Das Geräusch lässt sich nicht aufnehmen! Nicht lachen. Es ist tatsächlich so. Der Schlag hat eine Frequenz, die unsere Geräte – Kameras, iPhone – offenbar filtern, weil sie als ein Störgeräusch für Sprachaufnahmen identifiziert wird, worauf ja diese Geräte ausgelegt sind. Oder es ist doch ein Klabautermann, der im Tank sitzt und gegen die Wand schlägt, weil, ihm fad ist!
1640 UTC
Wir waren einfach zu weit nördlich und mussten den Kurs ein paar Grad verändern, sind dadurch aber mehr vor dem Wind – das Schiff rollt nun stark, und in Abständen wird es von einer großen Welle erfasst und gedreht. Der einzig gute Platz ist das Cockpit im Moment. Kochen war Schwerarbeit, auch das eine Lehre für die nächste Etappe – Vorkochen und Fertiggerichte! Alles andere macht weder Sinn noch Spaß!
Wir produzieren noch immer zu viel, aber bereits weniger Müll als gedacht. Das mag auch daran liegen, dass unser Trinkwasser Konsum aus (Plastik) Flaschen geringer ist, als kalkuliert.
Das Thermometer zeigt 19-20 Grad. Haube ist gut.
2200 UTC
Jede Nacht wird heller. Wir halten unser Tempo, der Wind ist über weite Strecken bei 5 Bft. Am Nachmittag ist er runter auf 4, das ist dann „chilliges“ Segeln, da kann man gut schlafen oder Dinge erledigen, Arbeiten aller Art durchführen. Wir versuchen soweit nach Süden zu steuern, wie es mit dem Wind gut geht. Bin gespannt, ob wir ohne weitere Halse unser Ziel erreichen.
Für die Nichtsegler: Bei einer Wende dreht der Bug durch den Wind, bei einer Halse das Heck. Das leichtere Manöver ist die Wende, weil man den Druck aus den Segeln bekommt. Wenn man aber einen „raumen“ Kurs (Wind von hinten) läuft, ist die Halse das logische Manöver. Macht man dennoch eine Wende, spricht man von einer Q-Wende, weil die Kurslinie beim Manöver eine Schlaufe formt.
8. Jänner | Nachtwache
Faschierte Laberln
Bereits als Kind bin ich oft und gern allein gewesen, ich bin allein in den Wald gegangen oder hinunter zum Pressegger See, an dem meine Tauftante Anna in einem Wohnblock gewohnt hatte. Als Voksschulkind bin ich bereits leidenschaftlich gesegelt, das Meer der Wiener war mein Ozean und ich habe ihn in meiner Nussschale, einem 2 Meter langen Holzboot – allein! – überquert.
Niemand hat es bislang geschafft, auch nur ansatzweise an die Faschierten Laberln mit Erdäpfelpüree meiner Tante Anna heranzureichen. Als ich noch nicht einmal gehen konnte, rettete sie mich in aller letzter Sekunde, bevor ich noch vor dem Mühlrad in den reißenden Mühlbach der Smolli Mühle gestürzt und mit Sicherheit ums Leben gekommen wäre.
An welchem Fädchen ich auch immer ziehe, immer kommt ein anderes Kästchen zum Vorschein, das nicht für sich alleine stehen will, sondern immer mit vielen anderen Kästchen verbunden ist.
Und dann ist da natürlich noch meine Begegnung mit Aba Lewit.
9. Jänner 2020 | Inseln im Nichts
0850 | 30•31,6´N | 15•30,7W
In der Nacht hat sich eine Wolkendecke gebildet und zwischenzeitlich hatten wir satt Wind, der immer wieder in die 6 Bft ging. Dann hat es sich beruhigt, und jeder konnte schlafen.
In ein paar Stunden werden wir die Selvagem Inseln passieren, ein winziges Archipel im Nirgendwo.
Der Tag schleicht sich förmlich in die Nacht, Wolken und Meer in unendlichen Abstufungen blaugrau.
3-4 Stunden läuft die Maschine am Tag auf geringer Drehzahl, nur um die Batterien zu laden. Der größte Stromfresser ist der Autopilot. Der Klabautermann im Dieseltank ist leiser geworden. Keine Ahnung warum, aber es tut gut.
1815 UTC | 30•01 N | 16•14,5´ E
Wir haben gehalst und laufen jetzt ca 205 Grad Kurs bei 4 Bft. in einen Sonnenuntergang zu unserer Rechten. Wir empfangen bereits Teneriffa Radio und bekommen die Navtex Nachrichten aus La Palma. Ein sattes Hockdruckgebiet baut sich über den Azoren auf, 1034 hpa. – grundsätzlich gut, aber über den Kanaren haben wir zu Zeit „nur“ 1026. Der Wind um die Inseln ist mit 5-6 Bft vorhergesagt, Welle gelegentlich 3 Meter. Wir haben alle Vorkehrungen getroffen, beide Backstagen angeschlagen und erwarten unseren Landfall morgen im Laufe des Tages. Eine Nacht und 113 Meilen haben wir noch.
2220 UTC | 29•40,7 N | 016•22,7 E
Wir haben uns auf einen Kurs in angenehmen 4 Bft mit 190 – 195 Grad eingependelt. Das sind mit Pobacken zusammenkneifen 145-150 Grad zum Wahren Wind.Das geht auch nur, solange nicht mehr Welle ist. So haben wir stabile Lage und es rollt nicht so, wie genau Vor dem Wind. Ich werde den Schlag aber nicht ganz ausfahren, sondern bereits bei einer Peilung zum Ziel von 245 Grad halsen.
Für die Laien: Der Wind kommt von hinten. Der direkte Kurs wäre auch genau so zum Ziel. Da es zuviel wackelt, fahren wir ein bisschen schräg zur Windrichtung und dafür Zick-Zack.
Nach 5 Tagen ist erstmals wirklich so etwas wie Routine eingekehrt. Schlafen, Wache, social Time – essen, reden, Hörbuch hören, wobei Anna und Max immer gemeinsam dasselbe Hörbuch hören! Mit den Vorräten und den Ressourcen kommen wir ganz gut hin, die Woche gibt uns wichtige Erfahrungswerte für die nächsten Etappen.
Anna und ich haben beschlossen, einiges anders zu organisieren. Vor allem in der Küche. Die langen Schläge stellen andere Anforderungen. Alles was Geschirr und Zitronenpressen oder Käsereiben doppelt ist, fliegt raus. Die Gewürze werden einen anderen Platz finden müssen, ich hoffe ein Shelf dafür zu bekommen. Dort wo sie jetzt sind, kommen sie uns bei mehr Seegang entgegen, wenn wir den Kasten öffnen. Wir werden außerdem die Stauräume für den getrennten Müll anlegen – Plastik, Dosen, und Glas. Der normale Restmüll wird an Deck am Heck gestaut.
Geschlafen wird, wenn wir unterwegs sind, im Salon oder vorne, außerdem kann ohnehin immer nur einer schlafen, der andere muss logischerweise Wache halten. Das bedeutet, dass wir die hintere Kabine als Stauraum verwenden werden.Dafür werden wir das etwas komfortablere hintere Bad verwenden, und das im Gegenzug das vordere als Stauraum nutzen. So sollten wir uns ziemlich bequem auch für die ganz lange Etappe versorgen können.
9. Jänner | Nachtwache
Der Müller
In den späten 1990er Jahren habe ich für einen TV Zweiteiler nach dem Anzengruber Roman »Der Schandfleck« die Bildgestaltung gemacht. Aus reiner Intuition heraus schlug ich dem Regisseur vor, dass mein Vater, der zwar kein gelernter, aber dafür umso leidenschaftlicherer Schauspieler war, die Rolle Müllers übernehmen sollte. Er stirbt in der ersten Szene des Romans, die sich über gut 40 Seiten ergießt, und in der der Müller dem Pfarrer förmlich die Leviten liest über Moral, Glauben – Katholizismus – und Gesellschaft. Eine Brandschrift voller Hintergründigkeit. Für mich war und ist es die Schlüßelszene des Anzengruberromans. Bei der Abnahme des Films war auch der Fernsehdirektor des Bayerischen Rundfunks persönlich anwesend und sehr angetan von dem Film, er ordnete jedoch unmißverständlich an, dass diese Szene aus dem Film entfernt werden müsse.
Und zwanzig Jahre später habe ich dann auf einmal dieses Bild von der Smolli Mühle in Händen. Der Müllermeister Anton Vinzenz Smolli war ein hagerer Mann, ein fleißiger Müller, ein sparsamer und tüchtiger Kaufmann. Er besaß eine kleine Mühle in Hermagor im Gailtal, ganz im Süden von Kärnten. Ein Foto aus späteren Tagen zeigt ihn mit dichtem Oberlippenbart, Hut und Stock, stattlich. Die Ehe mit seiner Frau Serafine war von Kinderlosigkeit begleitet und vielleicht war das ein Grund, warum diese Ehe unglücklich verlaufen war. Vielleicht war es aber auch, weil der gute Anton fremdging, und vielleicht auch, weil sein Frau wusste, mit wem er sie betrog, nämlich mit ihrer eigenen Schwester. Ein Anzengruber – Plot.
10. Jänner 2020 | Landfall
0015 UTC | 29•29,7 N | 016•26,7 E
Es ist deutlich milder geworden, der Wind hat seine Charakteristik verändert, wirkt gelassen, bei gleicher Stärke. Ich denke, wir sind im Passat angekommen, gleiten mit unseren 5,5 – 6,5 Knoten durch die Vollmondnacht.
1000 UTC |
Etmal 130 Meilen. Kann man lassen.
Wir haben in der früh die zweite Halse gemacht und scheinen das vom Kurs her ganz gut erwischt zu haben, fliegen raumschots auf unser Ziel zu. Gelegentlich hatten wir 6 Bft, macht auch keinen großen Unterschied. Die Wackelei bekommt man auch mit der Zeit im dem Griff. Die Welle steht mit 2-3 Meter, wobei die langen Wellen das kleinere Problem sind. Ich schätze 7-8 Stunden brauchen wir noch.
Anna und ich besprechen bereits die Bunkerliste für den nächsten Schlag, und haben uns entschieden, nicht einen Einkauf zu machen, sondern segmentweise – Haltbar u Konserven, Brot u Gebäck, Getränke, Frischwaren usw.
1330 UTC
Eine dichte Regenwolke umhüllt die Insel, vom der wir die Ahnung einer Silhouette vor wenigen Minuten zum ersten Mal sahen.
2000 UTC | Santa Cruz de La Palma
Die Insel versteckt sich noch lange im Regen. Wir müssen zuerst mit La Palma Traffic sprechen, ehe wir einfahren dürfen, der Hafen ist eng und hat fünf Bereiche – den Fischereihafen, einen Frachthafen, die Fähranleger, die Mole, wo die Kreuzfahrtschiffe festmachen, und schließlich die Marina, das “Dársena de embarcaciones menor” (Dock für die kleinen Schiffe), ist am nördlichen Ende hinter einem eigenen Wellenbrecher mit einem eigenen Schleusentor, das eigens für unsere Einfahrt abgesenkt wird, was gute 10 Minuten dauert.
Diese Schleuse ist nicht wie in vielen Häfen im Norden dafür da, um die Schiffe bei Ebbe vor dem Trockenfallen zu schützen – die Gezeiten sind hier nicht nennenswert – sondern lediglich um das Wasser zu beruhigen, das von dem mächtigen, zwei bis drei Meter hohen Schwell zu schützen, der die Insel andauernd umspült und auch hier herinnen ständig für eine Bewegung sorgt, die für kleine Boote wie unseres unangenehm sind. Außerdem ist der Hafen nach Südosten hin offen, was diesen in den seltenen Fällen, in denen der Wind aus dieser Richtung kommt, unbrauchbar machen würde. Selbst wenn das Schleusentor geschloßen ist, spürt man eine ganz leichte, wiegenähnliche Bewegung. Cosy.
Der Empfang ist freundlich, die ohnehin kleine Marina nicht mal zu einem drittel belegt. Ich zähle neben ein paar kleinen Booten 12 Yachten, die hier liegen, vier oder fünf scheinen bewohnt bzw. wie wir unterwegs zu sein. Alles ist sehr modern und gut ausgestattet, wir freuen uns schon drauf, morgen den Ort zu erkunden. Ein leichtes Wanken spürt man schon, wenn man nach so langer Zeit wieder Land betritt. Eine lange Dusche und noch eine Portion von der Bolognese, die ich gestern zubereitet habe, kommen herrlich gut an.
Und ja, wir sind schon ein bisschen stolz, dass wir das so gut hinbekommen haben, und ich muss es wieder sagen, unsere Europa, oder nach ihrem früheren Namen – die Gute Gitte – in ist mehr ein wundervolles Schiff!
Solange wir im Hafen liegen, wird es natürlich keine “Nachtwache” geben, weil wir die Nächte zum Schlafen nutzen werden. Es wird also ein wenig dauern, bis ich Euch erzählen kann, wie die Geschichte mit dem untreuen Müller weiterging… – denn für heute machen wir die Positionslichter aus. – Gute Nacht!