Atlantiküberquerung | Teil 3
10. Februar 2020 | 0130 UTC
Wir laufen hart am Wind gegen den SO Passat, der hier und jetzt sehr südlich weht. 3–4 Bft wahrer Wind, das sind auf diesem Kurs 20 Knoten. Wir machen fast 7 Knoten, krachen aber immer wieder in die Wellen. Entscheide, ein Reff im Großsegel einzuziehen. Ist manchmal eine Überwindung nachts da raus zu gehen. Aber angegurtet stellt es sich dann als ein ganz normaler Ablauf heraus – oder wie der Wiener sagt: Zu Tod g‘furchtn is a g‘sturbn…
1330 UTC
Wir sehen Fernando de Noronha! Welch markante Skyline. Aus dem Osten schiebt sich eine riesige Regenwolke heran, wir bereiten uns drauf vor. Wenige Minuten später erreicht uns die Wolke – und löst sich auf, kein Regen, nur kühlere Luft…
Segel rein, Segel raus, Kurs ändern hier, Radar nach Regen checken, mit Max Konferenz machen, wir sind busy. So oft wie heute bin ich den letzten zwei Wochen nie den Niedergang rauf und runter… und das alles bei 32–33 Grad ohne Sonne…
Anna ist tapfer, ich merke, dass ich die Zeit schon lang wird und wir reden auch drüber. Aber sie ist hinreißend und guter Laune, hört viele Hörbücher und schläft viel. Aber keine Frage, es ist Zeit, dass sie wieder unter Menschen kommt.
1730 UTC
Wir passieren Fernando de Noronha im Osten und drehen auf unseren neuen Kurs Richtung Cabedelo.
2245 UTC
Heftiger Regen ging nieder, nun hat es sich beruhigt, aber eine dichte Wolkendecke versteckt Sterne und Mond. Einzelne Abschnitte silberner Streifen an fernen Horizonten. Die Wolken um uns sind dunkel, schwer und hängen tief.
Das Deck ist nach dem letzten Schauer jedenfalls rein und ich habe auch ein T Shirt in den Regen gehängt. Mal sehen, wie sauber das geworden ist. Jedenfalls ist der Regen von einer unfassbaren Klarheit, rein und sauber.
Diese Regenwolken sind Teil einer großen Front, die über uns hinweg Richtung Festland zieht. Das unterscheidet sie von den „Squalls“ in der Konvergenzzone. Die Squalls sind isolierte Zellen, die am blauen Himmel entstehen können, und das eröffnet die Gefahr sehr starker Böen innerhalb oder am Rande der Squalls. Im Gegensatz dazu regnen sich diese Wolken meist nur aus, und es kommt bestenfalls am Rand zu einer Zunahme des Windes um 1 – 2 Bft. Aber:
Vorsicht ist die Mutter der Porzellankiste!
Wir haben im Moment 2 manchmal gerade mal 3 Beaufort Rückenwind, und weil wir nichts unnötig riskieren wollen, haben wir die Fock geborgen und das Großsegel zünftig gerefft, lassen den Motor auf niederer Drehzahl mitschieben und erreichen so unsere Reisegeschwindigkeit. Meinen Berechnungen nach sollte das im Bedarfsfall sogar bis zu unsere Ziel möglich sein, wobei ich schon glaube, dass wir morgen zumindest noch ein Stück segeln werden. 186 Meilen noch.
11. Februar 2020
Begleiter
Seit geraumer Zeit versucht ein relativ kleiner Vogel am Schiff zu landen, was bei dem Seegang schwierig ist. Kreis um Kreis zieht er um die Europa, mal versucht er es am Bug, dann am Heck oder Mast. Er wirkt müde und schafft es schließlich am Solarpanel zu landen, wo er sich nun ausruht. Hallo Freund.
0200 UTC
Nachdem wir 4•30 Süd passiert haben, setzt der SO Passat ein. Wir bolzen mit 6–7 Knoten. Unser kleiner Wegbegleiter sitzt selbst da noch auf dem Panel.
0800 UTC
Der Wind geht immer wieder in den Böen in 5 Beaufort, wir rasen zwar, aber haben natürlich ziemliche Lage, obwohl das Großsegel stark gerefft ist. Die Welle. Kommen von links, nicht unangenehm, aber doch deutlich spürbar. Bin ein bisserl müde, die Europa macht seit sechs Stunden einen auf Canonball – das geht rein. Wecke Anna, wir reffen das Vorsegel. Dazu gehen wir kurz auf einen anderen Kurs, auf dem das Schiff liegt, als wäre nichts, dann zurück. Ein knapper Knoten weniger, aber auch weniger Seitenlage. Anna wacht, ich schlaf mal eine Ecke.
1000 UTC
Zwei Stunden reichen mittlerweile. Dieser Kurzschlaf Rhythmus funktioniert schon sehr gut. Wir überlegen, was wir essen werden, ohne viel kochen zu müssen.
Cabedelo Approach
Was bei den Fliegern „Approach“ genannt wird, ist bei den Seefahrern der „Landfall“. Naja anlegen halt, werden manche denken, aber ganz so einfach ist die Sache dann auch wieder nicht. Seit Tagen bereite ich mich auf den Landfall in Brasilien vor, klar, ich habe jede Menge Zeit dafür, und ich will die Sache auch nicht komplizierter machen, als sie ist.
Was ist also zu berücksichtigen?
Gezeiten
Die Ankunftszeit sollte nach Möglichkeit mit den Tiden abgestimmt werden. Cabedelo hat mit rund 2.5m keine allzu starken Gezeiten, aber gepaart mit dem Umstand, dass die Marina in einem Fluss liegt, ist das schon zu berücksichtigen. Eine auslaufende Flut gepaart mit der Strömung kann eine mühsame Bremse sein, eine einlaufende Flut gegen die Strömung des Flusses unangenehme Wellen aufwerfen.
Der Meeresboden
Ein steil ansteigender Meeresboden kann plötzlich spitze Wellen aufwerfen und Strömungen und Kreuzseen hervorrufen.
Wind
Der vorherrschende und der vorhergesagte Wind sind natürlich ganz wesentliche Faktoren.
Die Küste
Wie sieht die Küste aus, läuft sie flach hinaus mit Untiefen, oder fällt sie steil ins Meer? Ragen Felsen oder Sandbänke aus dem Wasser oder bleiben sie vielleicht knapp unter der Oberfläche unsichtbar verborgen. Stellen vielleicht die Wracks gesunkener Schiffe ein Hindernis dar? Und dann ist da noch der Aspekt der Topographie und inwiefern diese vielleicht die Windverhältnisse beeinflussen könnte. Gibt es auffällige Landmarken wie Berge, Gebäude, Masten, kommen wir bei Tag oder bei Nacht an? Das alles gehört zum Landfall – wie auch die
Betonnung
Nur ganz kleine Boote müssen nächtens nicht mehr als ein weißes Rundumlicht führen, um gesehen zu werden. Alle andern Boote, seien es Yachten, Fähren, Öltanker oder Flugzeugträger, müssen auf ihrer linken Seite ein rotes und der rechten Seite ein grünes Licht führen. Sieht man also das zB das rote Licht eines Schiffes, so weiss man auch, in welche Richtung es fährt. Das ist auf der ganzen Welt gleich.
Die Fahrwasserrinnen sind mit Tonnen gekennzeichnet, die in den Farben Rot und Grün bemalt sind und in der Nacht ebenso mit roten grünen Lichter bestückt sind. Wenn man zum Land fährt, dann ist die rote Tonne links, die grüne rechts, das rote Licht links, das grüne rechts. In Europa. Nicht aber in Amerika, und auch nicht hier in Südamerika – da ist es nämlich genau umgekehrt.
Ihr könnt euch vielleicht vorstellen, dass das etwas ist, was einem Skipper in Fleisch und Blut übergeht. Es ist essentiell. Umso größer ist seit Tagen meine Sorgen, dass ich diese Veränderung nicht genügend verinnerlicht habe, und so gehe ich oft vor mich hinmurmelnd umher „rot rechts, grün links,…“.
1600 UTC
Wir segeln in 4 Bft, begleitet von einer ansehnlichen Welle aus Südost mit unseren guten 6,5 Knoten und gerefften Segeln dahin. Ich habe mein Bett frisch bezogen, aufgeräumt, hasse nichts mehr als Chaos am Schiff bei der Ankunft. Der letzte Tag auf See – und es ist ein Prachttag. Hingemalte Wolken, Sonne, blau, blau, blau. 32 Grad. Am Festland wird das schwerer als hier draußen zu ertragen sein.
Wir sehen den ersten großen Frachter seit Wochen, aus Südost kommend, quert er unseren Kurs in unserem Heck.
1800 UTC
Der Wind hat etwas nachgelassen auf 3–4 Bft und mit ihm die Welle. Wir haben alle Reffs rausgenommen und die Europa spielt all ihre Qualitäten mit großer Freude aus – 7 Knoten und mehr bei ruhiger Fahrt, der Bug bahnt sich entschlossen seinen Weg durch die Wellen. Man merkt dem Schiff förmlich die Freude an.
Entschlossenheit braucht es, um einen Ozean zuüberqueren, und eine Frau, die sagt: „Fahrt‘s!“.
UTC
Jetzt geht natürlich wieder die Sache mit UTC und Lokalzeitzeit los. Wir leben ja nach wie vor stur nach UTC undndas haut ganz gut hin. Es wird um 0730 UTC hell um ca. 2100 UTC bricht die Nacht an. Nun gehen aber die Uhren in Brasilien anders, nämlich UTC –3 Stunden, also –4 Stunden zu Wien, München, Berlin, Frankfurt usw.- genau, es wird um 5 Uhr hell, dafür geht um 18 die Sonne unter. Blöd, oder?
Flut ist jedenfalls um 0939 UTC, und wir werden versuchen, die Marina bis dahin zu erreichen, um nicht gegen das ablaufende Wasser ankämpfen zu müssen. 15 Meilen vor der Flusseinfahrt steigt der Meeresboden sehr steil aus einer Tiefe von fast 3000 Metern auf 30 Meter an. Wir erwarten steile Wellen, Strömungen und Kreuzseen. Die Einfahrt in den Fluß ist sehr eng und von Untiefen umgeben, die allerdings bei Flut kein Problem darstellen sollten. Die Fahrrinne ist dicht betonnt – Rot RECHTS , Grün LINKS – nur bei der 4. Tonne hängen 2 rote Tonnen nebeneinander. Na servas, hoffentlich merk‘ ich mir das alles.
Joblist
Die Europa läuft jetzt exakt 2 Monate durchgehend und wird morgen früh in dieser Zeit knappe 4000 Meilen zurückgelegt haben. Natürlich haben wir bei allen Stops Wartungsarbeiten und kleinere Reparaturen durchgeführt. Auf der letzten zweiwöchigen Etappe haben sich aber natürlich wieder ein paar Kleinigkeiten angesammelt, und auch wenn es nichts gravierendes ist, so ist die Liste doch angewachsen. Die achteren Masten, an denen Solarpanele und Radar aufgebaut sind, müssen frisch gestützt werden, die automatische Bilgepumpe mag nicht so, wie sie soll, und die manuelle Bilgepumpe hat zu lecken begonnen (Damit wird das Wasser, das sich im Rumpf des Bootes ganz unten im Kiel sammelt, abgepumpt). Das Rollreff des Vorsegels haben wir gut in den Griff bekommen, trotzdem muss das Segel runter und die obere Halterung gecheckt werden. In den wirklich heftigen Wolkenbrüchen haben sich ein paar Stellen gezeigt, wo ein wenig Wasser eindringt, das muss ich ausbessern, die Tanks müssen dringen gereinigt werden, vor allem der Dieseltank, die Dichtung des Autopiloten muss ersetzt, zwei kaputte Lichter am Mast getauscht werden und so weiter und so fort….
2030 UTC
Der Himmel zeigt uns ein noch nie dagewesenes Schauspiel aus Farben und Formen, das ganz tief drinnen berührt. Es ist, als hätten sich alle guten Geister versammelt, um uns in diese letzte Nacht auf See zu begleiten. Sehr bewegend…
12. Februar 2020 | 0545 UTC | Landfall
Die Macht war, wie der Tag geendet hat: ruhig und harmonisch- in 2–3 Beaufort und praktisch keiner Welle sind wir mit 6 Knoten dahingeglitten. Die Lichter eines Frachters haben wir gesehen, aber sonst keine Schiffe, obwohl wir nun schon nah der Küste sind. Jetzt, wo wir bereits 17 Meilen vor der Küste sind, lässt sich mit viel gutem Willen der Lichtschein von Joao Pessoa erkennen, der von den Wolken zart eingefangen wird. In den nächsten Minuten kommen wir in flaches Wasser.
0613 UTC
Land in Sicht.
1000 UTC
Nachdem wir 6 Meilen den Rio Paraiba hinaufgefahren sind, an dessen Ufer das satteste Grün ins Wasser wächst und sich mit Palmen mischt, machen wir in dem kleinem Fischerdorf Jacare fest. Zwei Franzosen betreiben hier eine kleine, unprätentiöse Marina, die bietet, was man braucht.
Der Mechaniker ist Deutscher, leider. Der versteht, was ich sage, und ich habe den Verdacht, dass in den letzten Jahren immer die Mechaniker am besten gearbeitet haben, die nicht verstanden haben, was ich sage. Sei’s drum. Wir sind südlich des Äquators, jetzt ist alles anders und vor allem – heiß!