Atlantiküberquerung | Teil 2
5. Februar 2020 | 1130 UTC
Kontakt
In den Morgenstunden gab es große Aufregung – die Lichter eines anderes Schiffs zogen weit vor uns westwärts. Nach einer Woche nur Natur ist das ein großes Ereignis!
Seitdem wir aus der ruppigen Gegenströmung wieder draußen sind, kommen wir zügig voran, und ich bin schon gespannt auf das nächste Etmal, das ich in einer halben Stunde errechnen werde. Mit 4–5 hat der Wind in den letzten beiden Tagen zugelegt, das bedeutet auch mehr Welle. Aber wir haben einen ganz vernünftigen Trimm gefunden, einen Kompromiss aus Geschwindigkeit und Komfort. Wenn auch in großen Abständen, so steigen doch immer wieder mächtige Wellen in unserem Heck auf, aber mittlerweile haben wir ein wenig Übung im Umgang mit den daraus resultierenden Bewegungen. Morgen werden wir die Hälfte des Weges erreicht haben, unser letztes Etmal beträgt 130 Seemeilen.
2000 UTC
Vorboten
Die Bewölkung hat deutlich zugenommen, das Barometer fällt langsam, der Wind lässt nach – Vorboten der Innertropischen Konvergenzzone. Wir haben wieder unseren Schmetterling aufgezogen und treiben langsam in die Nacht.
Piercing
Ein wenig Besorgnis kam auf, als Anna darüber klagte, dass sie das Gefühl hätte, eines ihrer Piercings würde sich entzünden, just jenes unter der Oberlippe. Der erste Versuch, das Piercing zu öffnen, scheiterte, das Schiff bewegte sich stark, und mit zwei Zangen unter der Oberlippe deiner Tochter herumfuhrwerken stresst. Wir hatten schon beschlossen, die Sache ruhen zu lassen und erstmal mit der medikamentösen Behandlung unter Inas Anleitung vorlieb zu nehmen. Jetzt war diese Situation weit davon entfernt ernst oder gar dramatisch zu sein, aber in so einem Fall lohnt sich unser kleiner Satelliten Freund schon sehr. Die Möglichkeit, auf diese Art Rücksprache halten zu können, ist richtig gut und die Investition wert.
Als Anna beim Abendessen ihr Yoghurt löffelte, fiel dann eine der Verschlusskugeln heraus und das Piercing konnte problemlos heraus genommen werden. Offenbar war es uns davor doch bereits gelungen, den Verschluss zu lockern.
6. Februar 2020 | 1245 UTC
Wir haben wieder die 130 Meilen Marke geknackt. Der Wind hatte aufgefrischt und wir haben mit unserem „Schmetterling“ so gewaltig Tempo gemacht, wie ich es nicht für möglich gehalten hätte. In den frühen Morgenstunden erreichte der Wind immer wieder 20 Knoten und knapp darüber, und ich wollte schon zu reffen beginnen. Der Mond war allerdings weg, Anna schlief tief und zwischendurch nahm der Wind auch wieder ab, also entschied ich, noch zuzuwarten.
Warnung
Knapp nachdem ich aufgestanden war, hat eine von hinten kommende Welle das Boot in einem ungünstigen Winkel unterschnitten und ich war nich rasch genug am Ruder. Das Großsegel hat im Schlingern des Bootes zweimal den Wind von der falschen Seite bekommen und den Bullenstander losgerissen. Ob der Schekel, mit dem der Bullenstander befestigt war, bloß aufgegangen oder gebrochen ist, konnte ich nicht mehr feststellen, da keine Teile mehr übrig waren. Jedenfalls haben wir begonnen zu reffen und das war gut so. Der Wind hatte auf 6 Beaufort zugelegt, und das tückische an diesen Kursen, auf denen man vor dem Wind herfährt, ist, dass man den Druck und die Stärke des Windes nicht so deutlich wahrnimmt, wie auf allen anderen Kursen. In unserer Freude rasch und gleichzeitig verhältnismäßig ruhig voran zu kommen, haben wir übertrieben und unsere Warnung erhalten. So eine Situation kann nämlich richtig unangenehm und gefährlich werden.
1900 UTC | 4•22‘N 31•01‘W
ITCZ
Die Bewölkung ist durchgehend, das Licht gedämpft, fast ein wenig fahl, selbst der Klang des Meeres verändert sich. Eine Woche sind wir nun unterwegs und die Schlüßelstelle unserer Reise steht uns nun bevor.
Ungelenk umgelenkt
Eine Umlenkrolle der Reffleine des Vorsegels hat sich verabschiedet und ich habe sie ersetzt. Dr Grund dafür dürfte am oberen Ende des Segels beheimatet sein, und hat möglicherweise damit zu wie der Mast getrimmt ist. Jedenfalls scheint sich das Segel oben nicht immer gleich ein- und ausrollen zu lassen wie unten. Ich hoffe das Ding klemmt nicht, wenn wir das Segel rasch bergen müssen. Vielleicht werde ich die Spannung des Achterstags verändern, wenn wir das nächste Mal die Segel „umbauen“, was laut Max‘ Prognose heute Abend der Fall sein dürfte, wenn der Wind nach Osten dreht. Wir werden sehen.
Aba Lewit ist im Spital.
7. Februar 2020 | 0000 UTC
Nachtwache | Perspektiven
Ganz schön schwer, diese Geschichte von dem Müller und meinem Großvater zu erzählen, meiner Tauftante und meiner Großmutter, mit all ihren Verästelungen, Querverbindungen und Ungereimtheiten. Ich habe sie, ohne groß darüber nachzudenken, beim alten Smolli begonnen.
Ich hätte die Geschichte auch bei den beiden Käuschlertöchtern beginnen können, ihrer Eifersucht und Mißgunst. Beide waren hinter dem Müller her, kein Zweifel, aber letzten Endes war es der Müller, der den Beschiss begangen hat. Damit meine ich nicht so sehr, dass er seiner Frau untreu war, sondern dass er sich Zeit seines Lebens vor der Verantwortung für sein leibliches Kind gedrückt hat.
Ich hätte die Geschichte auch mit der Geburt seiner außerehelichen Tochter, meiner Tante Anna, beginnen
können, die in diesem heillosen Chaos stets die Gute war. Sie hatte die Fähigkeit, die Dinge mit Liebe zu betrachten, nicht mit Argwohn, Hinterlist oder Habgier. Vielleicht war dafür die Erziehung verantwortlich, die ihr ihre offenbar geächtete Mutter hatte zukommen lassen, vielleicht war es ihr Glauben, vielleicht aber auch einfach ihr Wesen. Vielleicht war es aber auch nur, weil es zum Einen immer das Andere als Gegensatz geben muss?
Ich habe diese Geschichte begonnen, weil ich von meinem Großvater erzählen wollte, den ich suche, weil ich ihn nie gekannt habe. Und es ist wohl der Indoktrinierung einer Jahrtausend alten patriarchalen Prägung geschuldet, dass ich die Geschichte auf der Seite meines Vater begonnen habe.
Aber indem ich Euch die Geschichte erzähle, wird mir bewusst, dass ich eine zweiten Großvater habe, den ich ebenfalls nicht gekannt habe.
Marina Watteck hat die Biografie meiner Mutter aufgezeichnet, weiß Gott keine leichte Arbeit, wenn man meine Mutter kennt und die Sprünge, Abzweigungen und Haken, die sie während eines Gespräches schlagen kann. »Bitte lasst mich mitspielen!: Erinnerungen.« Aufgezeichnet von Marina C. Watteck, ist im Amalthea Signum Verlag erschienen. Meine Mutter bezeichnet darin den Anschluß als jenen Tag, an dem ihre Kindheit endete. Sie war genau zehn Jahre alt, eine Nachzüglerin in der Familie aus der zweiten Ehe Ihres Vaters, der bereits 46 Jahre alt war, als sie zur Welt kam, und der 1954 verstarb.
Die Zellers sind durch und durch eine Wiener Familie. Mein Großvater war äußerst unternehmend, er betrieb eine Milchbar, dann ein Kino, und schließlich das Cafe WIF (Welt im Film) auf der Landstraße Hauptstrasse, oben bei der Rochuskirche. Nach dem Krieg stellte er die Wochenschauen zusammen und trug die Filmrollen in die Kinos. Während des Krieges versteckte die Familie Agi Boroš, eine Freundin meiner Mutter, ein jüdisches Mädchen, vor den Nazischergen, aus denen Wien in diesen Tagen nahezu ausschließlich bestand. Agi Boroš lebt heute in Kanada, die beiden, beide weit über Neunzig, sind nach wie vor befreundet.
Wilhelm Zeller liebte seine jüngste Tochter sehr, Ihr Verhältnis war innig. Seine Frau, meine Großmutter, hieß Anna. Jetzt, nach den zwei Monaten, in denen ich die Geschichte meines Großvaters Otto Eder vor mir her und über einen Ozean gewälzt habe, wird mir klar, dass ich eine große Affinität zu diesem Herrn Zeller verspüre, im Gegensatz zu meinen Vorfahren väterlicherseits, vor denen ich immer ein wenig ratlos stehe. Kärnten habe ich nie sonderlich gemocht, das Fernsehen hat mich im Gegensatz zum Kino nie interessiert, Unternehmenslust verspüre ich täglich, nichts ist schöner, als neue Wege zu gehen, neue Spuren in den Schnee zu ziehen. Meine Tochter trägt den Nachnamen meiner Frau und ihr Vorname ist Anna. Wenn das kein Zufall ist.
7. Februar 2020 | 1200 UTC
135 Meilen dürfen wir ins Buch schreiben.
Wir hatten gestern Abend noch die Segel „umgebaut“, nachdem ich mich mit dem ausgebaumten Segel und der manchmal klemmenden Reffeinrichtung nicht wohl fühlte. Eine richtige Entscheidung, der Wind nahm in der Nacht wieder auf 18–20 ktn zu und drehte soweit nach Osten, dass wir nun auf halbem Wind auf unseren Wegpunkt am Äquator zusteuern.
Der Abbau des Baums gestaltete sich schwierig, die Fock verklemmte sich, schließlich verhedderte sich das Vorsegel in sich selbst. Wir hatten richtig zu tun und kamen ganz schön ins Schwitzen. Aber ich bin froh, dass wir das gemacht haben. Diese Konstruktion eignet sich tatsächlich nur für ganz leichte Winde bis allerhöchstens 3 Bft, sobald, diese Grenze überschritten wird, ist man zwar irre schnell, aber das gesamte Material wird gestresst.
1400 UTC | Kursänderung
Nach langer Konferenz mit Max und Analyse der Vorhersage für die Ausdehnung der Doldrums haben wir uns entschlossen, den Kurs deutlich westlicher zu stecken und auch Fernando de Noronha deutlich westlich anstatt wie geplant im Osten zu passieren. Da die Modelle offenbar ab Anfang der nächsten Woche von einander abweichen, scheint eine verlässliche Prognose zur Zeit nicht möglich. Daher versuchen wir auch einen Kurs zu finden, der uns so viele Optionen wie nur möglich so lange wie nur möglich offen hält. Noch kommen wir gut und zügig voran.
1900 UTC
Habe nach langen Überlegungen und Rechnungen beschlossen, den Kurs doch nicht so weit nach Westen zu verändern. Die Angst, dass wir am Ende vielleicht zwei- oder dreihundert Meilen hart am Wind gegen den SO Passat müssen, ist größer als jene, vielleicht einen Tag in den Doldrums zu hängen. Wir halten jetzt jedenfalls geradewegs auf Fernando de Noronha zu, und werden erst knapp, bevor wir die Insel erreichen, entscheiden, an welcher Seite wir sie passieren werden.
8. Februar 2020 | 0530 UTC
Voll ist der Mond, zum Greifen nahe, taghelle Nacht bis in den frühen Morgen, die Luft so klar, jeder Krater ist zu sehen.
Der Wind lässt ein wenig nach, das Meer ist ruhig, in großen Abständen laufen die langen Wellen vorüber.
1330 UTC
Auch wenn es sich so anfühlt, als wären wir langsamer geworden, beträgt unser ETMAL wieder 130nm. Wir haben nun konstante 3 Bft, also eine Windstärke weniger als in den letzten Wochen, das Schiff liegt ruhig, der Seegang ist gering. Anna malt im Cockpit. Ich rechne bereits unsere Dieselvorräte durch. Wir haben nicht viel verbraucht, meist lief der Motor nur zum Laden der Batterien auf 1200 Umdrehungen, die Nadel der Tankanzeige zeigt noch fast Voll an. Das erhöht unsere Optionen in dem für morgen und übermorgen befürchteten Flautenloch.
Die ITCZ (Konvergenzzone) liegt im Moment deutlich südlich des Äquators. Das bedeutet, dass wir erst später in diese einfahren werden, heißt aber auch, dass wir erst deutlich weiter im Süden in den Südostpassat kommen. Die Sache bleibt jedenfalls spannend!
Samstag, 8. Februar 2020, 1841 UTC | Äquator
Um 18:41 und 38 Sekunden haben wir den Äquator passiert! Wir sind tatsächlich auf der Südhalbkugel angekommen. Unglaublich. Und auch wenn man ihn nicht sieht, den Äquator, es ist alles anders, im Sinne von: Nichts ist so, wie es war, ehe man den Äquator überquert hat. Ja, es verändert einen. Und ich beschließe, einige Rucksäcke hier zu lassen.
Dann holen wir unsere Krawatten, die wir bei einem Chinesen Laden in Mindelo erstanden haben, binden sie um, jeder bekommt ein Glas Wermut… wir zählen die Gradsekunden runter und dann: Ein Schluck für Neptun, ein Schluck für uns, gefolgt vom feierlichen gegenseitigen Krawatteabschneiden – wir sind beide Äquator Neulinge. Wir erheben uns gegenseitig Kraft unseres Amtes in den Stand eines Äquatorianers!
9. Februar 2020 | 0145 UTC
Der Alarm meines Weckers holt mich routinemäßig nach 20 Minuten aus dem Kurzschlaf, als ich eine dicke schwarze Wolke, die das Meer berührt, nahe vor unserem Backbordbug sehe. Der Check am Radar zeigt deutlich einen ziemlich ausgedehnten Squall. Ich berge die Segel, lasse nur ein Eck vom Groß stehen. Wir ändern den Kurs nach Osten und motoren dicht an der Zelle entlang, um an ihrer Rückseite wieder langsam auf Kurs zu gehen. Ein großes Regenfeld tut sich auf und es beginnt stark zu regnen.
1230 UTC
Wir sind bis jetzt zwischen unzähligen Squalls motorgesegelt. Teilweise heftiger Regen. Noch können wir die einzelnen Zellen nicht richtig einschätzen, aber es wird immer besser.
Das dramatische Bühnenbild des Himmels verändert sich im Minutentakt, wo gerade noch blauer Himmel zu sehen war, schieben sich im nächsten Moment schwarze Wolken ineinander, die das Wasser berühren.
Und dann plötzlich scheint der Spuk vorbei. Die Front ist westlich von uns und der Osten sieht klar aus. Wir stellen den Motor ab, nehmen die Fock raus und machen an der Rückseite der Wetterfront gute Fahrt.
1330 UTC
Haben von Max die neuen Daten zur Lage der ITCZ erhalten und wenn die stimmen, sind wir durch! Kann es noch gar nicht glauben, doch auch der Barometer scheint langsam wieder Richtung oben zu tendieren. Hoffentlich ist diesbezüglich der Wunsch nicht Vater des Gedanken. Wir haben jedenfalls wieder 3 Bft aus Nordost, spüren aber schon die Kreuzsee aus dem Südost Passat. Sehr gespannt, wie das mal weitergeht!
1500 UTC
Wir sind wieder zum motorsegeln übergegangen. Der Schwell aus SO und leichter Wind mit Welle aus NO machen eine Kreuzsee, in der wir uns unter Segeln immer wieder feststampfen, ungemütlich, laut. Mit Motor ist es besser.
1530 UTC
Der Wind nimmt zu, wir machen den Motor aus und segeln – allerdings hart am Wind, der mit satten 3–4 Bft aus Südost gegen uns weht und die entsprechende Welle mitbringt. Astreiner Passat. Bloß aus der verkehrten Richtung. Alle Prognosen haben für diesen Zeitpunkt keinen oder ganz leichtem Wind aus Nordost angesagt.