Atlantiküberquerung Teil 1
31. Jänner 2020 | 0330 UTC
Venturi
Nachdem wir Mindelo verlassen hatten, kamen wir sofort in den „Venturi“ – Düseneffekt zwischen den Inseln Sao Vicente und Santo Antao. 30–40 Knoten Wind katapultierten uns durch die Meerenge direkt in ein Windloch im Windschatten von Sao Vicente.
Fast 50 Meilen weit wirkten die Landmassen der Inseln hinaus, Halsen, Segelwechsel, Trimmen – anstrengend. Dann endlich im Passat macht sich der Wechsel auf das größere Vorsegel bezahlt. In guten 4 Bft machen wir um die 6 Knoten, meist sogar knapp drüber, während das Großsegel drin bleibt, und wir haben eine stabile Lage.
1330 UTC
Diogenes
Ich habe bereits in der Nacht das neue Brett im Cockpit angebracht, das sich ebenfalls bewährt. Nicht nur eine zusätzliche Ablage, ist es ein Sitzplatz zum Arbeiten und ein Bett für denjenigen, der Wache hat. Ich habe schon ein paar Ideen, wie ich das noch verfeinern und leichter im Handling machen kann. Ich werde es „Diogenes“ nennen.
Der Wind hat sich eingependelt bei 3–4, zur Zeit eher auf der schwächeren Seite. Wir laufen noch einen sehr westlichen Kurs auf dem Backbord Bug und ich denke, dass wir in der Nähe des 28. Längengrades dann halsen und auf den Südkurs gehen werden.
Obwohl unser erstes Etmal 130 nm betrug, richten wir uns mental darauf ein, dass es länger dauern könnte. Mit dem Vorsegel allein liegt das Schiff gut im Trimm. Wir könnten vielleicht noch Geschwindigkeit schinden, wenn wir unmittelbarer auf die Veränderungen reagieren würden, aber das ist doch ziemlich anstrengend zu zweit und auf unseren Kursen, wo der Wind meist von schräg hinten kommt, stört das Großsegel oft das Vorsegel.
Wir sind die Gäste
Beim Essen haben wir eine riesige Delphin – Herde gesehen, die unseren Bug gekreuzt hat, alte und junge Tiere, sicher eine Hundertschaft. Habe nie so viele Delphine auf einmal gesehen, wie schnell sie sind, wie schön und wie sehr dieser Planet und vor allem dieses Element ihr Zuhause ist. Vielleicht sind wir ja doch nur Gäste hier.
1. Februar 2020 | 0330 UTC
Bugwechsel
Wir sind endlich auf den anderen Bug gegangen und segeln nun einen südlichen Kurs. Ab nun machen wir also wirklich Boden gut. Der vermeintliche Umweg war notwendig, um einer Flautenzone im Osten auszuweichen. Wir haben nach wie vor gleichmäßige Bedingungen, wenig Welle und eine ruhige Lage.
1400 UTC
Zickzack und Ideen
Im unserem Zickzack im Süden der Kap Verden haben wir gestern zwar fast 130 Seemeilen zurückgelegt, aber unser Etmal ist dennoch nur 105 nm – jene Distanz, die wir tatsächlich auf unser Ziel gutgemacht haben. Jetzt kommen wir bei leichten Winden nicht zu schnell, aber auch nicht zu langsam voran, machen zwischen 4,5 und 5,5 Knoten. Wir haben getrimmt und das Großsegel wieder ein wenig dazu gesetzt, den Autopiloten auf eine langsamere Reaktionsgeschwindigkeit eingestellt. Das spart ein wenig Strom und in diesen Bedingungen ist das absolut ausreichend. Das Thermometer zeigt erstmals knapp 30 Grad, und wir müssen darauf achten, die Kabine gut zu belüften, damit es nicht zu heiss wird. Die Sonne steht schon deutlich steiler, keine Wolke am Himmel, in einander verrinnende Blautöne, endlose Weite. Aber auch die Solarpanele erzielen einen bereits spürbar höheren Wirkungsgrad, untertags sind wir nahezu energieneutral, in der Nacht laden wir die Batterien mit dem Motor und lassen die Kühlschränke in dieser Zeit auf Maximum laufen.
2. Februar 2020 | 1530 UTC
Die Entdeckung der Langsamkeit
Die vergangene Nacht war von extrem wenig Wind gekennzeichnet, die Segel schlugen immer wieder, und wir machten manchmal nur 3 Knoten. Trotzdem haben wir heute Mittag noch ein Etmal von 120 Meilen gemessen, das ist ok, und auch jetzt kommen wir wieder gut voran, Vorsegel ausgebaumt und volles Großsegel – die 3 Windstärken wehen etwas östlicher als in den vergangenen Tagen.
Alarm
Heute Vormittag schlug auf einmal der Autopilot Alarm und zeigte eine Fehlermeldung an. Riesen Schock! 1200 Meilen von Hand steuern, na gute Nacht! Wir haben dann systematisch geforscht – was damit begonnen hat, dass wir die Sprache des Menüs im Autopiloten an jene der Bedienungsanleitung angleichen mussten, also englisch. Der Fehler besagte, dass das Gerät länger als eine Minute lang zu viel Strom zog und sich deswegen ausschaltete. Anna hatte sofort erkannt, was naheliegend war, nämlich dass die Fehlfunktion etwas mit der Veränderung zu tun hatte, die ich gestern mit der Absicht vorgenommen hatte, Strom zu sparen. Die Details sind etwas zu kompliziert, um sie hier zu erklären, aber ich habe die Änderungen ein Stück zurückgenommen und nun läuft das Ding wieder.
Allerdings habe ich bei Durchchecken des Systems gesehen, dass ich offenbar beim Nachfüllen des Hydrauliköls eine Dichtung am Tank verletzt habe. Im Moment ist der Behälter dicht, aber er wird ab nun täglich kontrolliert und ich überlege bereits, womit ich die Dichtung ggf. ersetzen könnte. Ich hoffe, das wird nicht notwenig sein. Systeme, die funktionieren, soll man in Ruhe lassen. Lesson learned.
Unsere Lage ist so stabil und gerade, dass Anna heute sogar im Cockpit malen kann.
3. Februar 2020 | 0000 UTC
Korridore des Ozeans
Eine silberne Halbkugel, genau von unten beleuchtet, neigt sich dem westlichen Horizont zu, das Meer glitzert. Wir sind nun 84 Stunden unterwegs, dreieinhalb Tage und haben ziemlich genau ein Viertel des Weges geschafft.
Ich träume viel und intensiv, oft wirres Zeug. In den letzten Tagen sind es oft Träume, in denen sich Korridore auftun zwischen der Traumwelt und der Realität, was manchmal besonders verwirrend ist.
Nachtwache | Aba Lewit
Als wir mit den Vorbereitungen zu The Last Dialogue begannen, haben wir nach Zeitzeugen und ihren Enkelkindern gesucht, die bereit waren, vor der Kamera ein Gespräch zu führen.
Als sich die Möglichkeit auftat, dass Aba Lewit zu uns kommen könnte, war das Problem, dass er, wie beispielsweise auch Marko Feingold oder Rudi Gelbart, keine eigenen Enkelkinder hat. Wir schlugen vor, nach jemandem zu suchen, der diese Rolle – wie bei den beiden anderen – übernehmen könnte. Das sei schwierig, erfuhren wir, Herr Lewit würde sich nicht jedem öffnen, zudem sei er sehr gläubig.
Wir vereinbarten über seine Tochter ein persönliches Treffen und wurden in seine Wohnung unweit des Tempels im Zweiten Bezirk zum Kaffee eingeladen. Als wir eintraten, begrüßte uns ein kleiner Mann, Mitte Neunzig, mit großen, wachen Augen und einem freundlichen Lächeln.
Wir nahmen im Esszimmer Platz, tranken Kaffee und redeten. In allen Vorgesprächen versuchte ich zu verhindern, dass uns die Protagonisten ihre Geschichte „vorweg“ erzählten – so auch in diesem. Ich wollte, dass sie sie vor der Kamera erzählen, nach den Worten und Formulierungen suchten, und nicht mit einem bereits ausgesprochenen Text „auftraten“ – soweit das eben möglich war.
Aba Lewit war so klar, so kraftvoll, so – vital. Geülant war es nicht und ich weiß auch nicht warum, aber ich fragte ihn spontan, ob er sich vorstellen könnte, seine Geschichte mir zu erzählen, in jenem Zugabteil, das wir im Studio aufgebaut hatten. Ohne zu zögern willigte er ein.
1230 UTC
Unser letztes Etmal betrug 105nm. Das ist wenig, aber viel mehr war nicht drin. Auf der anderen Seite: Warum sollen wir uns hetzen? Zwei Tage mehr oder weniger, das spielt keine Rolle.
Neue Kurse
Dennoch haben wir vor zwei Stunden den Kurs gewechselt und segeln nun Vor dem Wind, Vorsegel rechts, Großsegel links, „Schmetterling“, an und für sich kein schneller Kurs, aber im Moment hat der Wind ein wenig zugelegt und wir kommen so mehr nach Westen, wo wir stabilere Bedingungen vermuten, und das mit guten 6 Knoten. Dazu haben wir eine gute Toleranz im Windwinkel, der uns sogar bis 130/140 Grad, also eigentlich bereits Raumschots, laufen lässt. Sollte tatsächlich das unsere ideale Passatbesegelung sein? Überraschend, das hätte ich in der Tat nicht gedacht…
Der Plan ist nach wie vor, dass wir erst am 30. Längengrad auf einen südlicheren Kurs gehen, das wäre nach derzeitigem Stand im Laufe des nächsten Morgens.
Haben wir vor wenigen Tagen noch nach jedem Sonnenstrahl gegiert, sind wir nun froh, dass die aufgefächerten Segel zu Mittag einen großen Schatten aufs Boot werfen. Es ist heiss.
1630 UTC
Gespeicherter Glücksmoment
Vor dem Wind. Musik. Weite. Blau. Licht. Glücksmoment, gespeichert.
4. Februar 2020 | 0000 UTC
Rumpelkammer
Eine holprige Nacht. Ich bin vom Vorwindkurs weggegangen, habe gerefft, weil der Wind zunahm. Es fühlt sich an, als würden wir durch Kreuzseen fahren, ruppig, hart, aber woher sollten die kommen? Der Meeresboden ist tief, die Strömung ist ident mit der Windrichtung. Es ist dunkel, und ich kann die Wellen nicht richtig sehen, vielleicht haben wir einfach die falsche Geschwindigkeit im Verhältnis zu den Wellen? Der Wind ist böig, fahrig, seltsame Stimmung. Das wird eine schlaflose Nacht….
Nachtwache | Zugfahrt
Seine Überlebensgeschichte ist die vielleicht wichtigste Säule des Films, nicht weil er das Gespräch mit mir geführt hat, sondern weil dieses Leben und seine Erfahrungen das ganze Spektrum menschlicher Möglichkeiten und abgrundtiefer Bestialität abbildet, und gleichzeitig einen Weg beschreibt, wie man diese überleben kann.
Mich hat das Gespräch durch alle nur erdenklichen Zustände und Verfassungen gespült, getrieben. Und ohne, dass ich Schuld empfinde, weil ich keines dieser Verbrechen, die an ihm und seiner Familie begangen wurden, auch nur ansatzweise mitzuverantworten hätte, so hatte, als ich ihm zuhörte, und habe ich bis heute dieses hilflose Verlangen, all dieses Leid ungeschehen machen zu wollen, es von ihm zu nehmen und all den vielen Millionen anderen, die unter dem Wahn einer kleinen, emporgekommenen deutschnationalen Schlägertruppe zu leiden hatten – denn sie waren es, die dem Nationalsozialismus den Weg geebnet hatten, und dem Holocaust, und nicht der „Einzelfall“ Adolf Hitler, wie er gerne als der Leibhaftige verklärt wird.
Stefan Zweig beschreibt diese deutschnationale Brut und ihre Taktik, den öffentlichen Diskurs mit einer Handvoll radikaler Personen zu manipulieren, in seiner „Welt von Gestern“ sehr genau. Diese Krebserkrankung unserer Gesellschaft trieb bereits im 19 Jahrhundert ihr Unwesen, genau auf die selbe Art und Weise, wie es später die Nationalsozialisten taten oder wie ein Jörg Haider agierte, ein Strache, ein Gudenus, oder auch die sogenannten Identitären. Seit 150 Jahren dieselbe Taktik, den selben Irrsinn.
Mein Vater ist schon tot, meine Großväter habe ich beide nicht kennengelernt, dennoch muss ich diese Fragen stellen:
Wieso muss ein Mitte Neunzig Jähriger Aba Lewit das Drecksblatt „Aula“ klagen, das Juden als Landplage bezeichnet? Mitten in den 2010er Jahren? – Wieso darf es überhaupt erscheinen?
Aba Lewit ist ein feiner Mann, im Gegensatz zu mir, ich bin wütend, emotional, aufbrausend und dann eh auch wieder verträglich, aber ich bin kein „feiner Mann“. Ich bin auch kein Jude. Ich komme aus einer Familie, die, verglichen mit all den Opfern, nicht sonderlich unter dem Krieg zu leiden gehabt hatte.
Viele der Gespräche, die wir aufnahmen, wurden zu einer Art Vermächtnis. Das Gespräch mit Aba Lewit war das nicht, er ist nicht mein Großvater. Aba Lewit hat mir ein unglaubliches Geschenk gemacht, mir persönlich genauso wie uns allen. Und deswegen wird das, was er mir erzählt hat, aber auch immer mit einem Auftrag verbunden sein, zumindest empfinde ich es so, und damit ist nicht nur der Auftrag gemeint, seine Geschichte filmisch zu konservieren und auch nicht nur, diese auch zu publizieren.
1200 UTC
Wir haben den Baum von der Fock weggenommen und laufen einen südlicheren Kurs, nachdem wir unseren Wegpunkt am 10. Breitengrad passiert haben. Das Tempo stimmt, wir machen wieder ein wenig Boden gut. Ideal ist unser Kurswinkel im Moment nicht zu Wellen und Wind, aber im Laufe der nächsten zwei bis drei Tage sollte der Wind östlicher drehen.
Kartenleser wissen mehr
Habe soeben unsere Position auf der Karte eingetragen, unser letztes Etmal waren 130 Meilen. Aber was entdecke ich da auf der Karte? Wir durchqueren gerade ein Gebiet, in dem die äquatoriale Gegenströmung mit 1–2 Knoten von West nach Ost verläuft, genau quer zu unserer Fahrtrichtung und aus Lee kommend. Meine Sinne hatten mich nicht getäuscht, das brutale Rumpeln letzte Nacht hatte seinen Ursprung in genau jener Überwerfung von Wellen und Wind.
1700 UTC
Kursplanung
Den Tag über wehte der Passat heute fast durchgehend mit 5 Beaufort, viel Bewegung im Schiff, aber auch gutes Vorankommen. Eben haben wir es geschafft, wieder eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 5 Knoten zu erreichen, über alles gerechnet, also seit der Abfahrt von den Kap Verden. Nicht, dass es einen großen Unterschied machen würde, ob wir nun einen Tag früher oder später ankommen, aber für die Durchquerung der Doldrums könnte das entscheidend sein.
Zur Zeit liegt die Konvergenzzone eher leicht nördlich des Äquators, und wir können davon ausgehen, dass wir in dem Moment, in dem wir den 2. südlichen Breitengrad erreichen, aus dem Gröbsten draußen sind.
Wetterfenster
Unser Wetterfenster öffnet sich Sonntag oder Montag, dann werden sich die Doldrums weitgehend bis vor die afrikanische Küste zurückgezogen haben, und abgesehen von einigen kleinen Flautengebieten sollte sich uns ein komfortabler Korridor mit Wind bieten. 540 Meilen trennen uns noch vom Äquator. Das sollte sich locker ausgehen, mag der flotte Kopfrechner denken, aber wir müssen davon ausgehen, dass wir ein Stück vor dem Äquator bereits langsamer werden.
Noch sind alles theoretische Überlegungen, aber wir beginnen bereits, die Veränderungen der Konvergenzzone aufzuzeichnen und Max hat ein Argusauge auf die Profiwetterkarten. Langsam wird‘s spannend.