Zwischen den Meeren
26. Dezember 2019 | 2200 UTC
Der heutige Morgen ist kalt, aber strahlend. Wir brechen zu Fuß auf, um Gibraltar zu besuchen. Ein langer Stau an der Grenze – Gibraltar gehört zum United Kingdom und ist daher nicht Teil des Schengen Abkommens, heisst soviel wie: Passkontrolle.
Eine absurde Szenerie: Stauende Autos, spanische und britische Grenzbeamten, auch als Fußgänger muss man den Pass zeigen. Dann heißt’s kurz warten, bis die Easy Jet Maschine gestartet ist – der Weg in die Stadt führt quer über die Rollbahn.
Und dahinter: Linksverkehr, Preise in Pfund, einzig die Winston Churchill Road erinnert mit ihrem Namen an glorreiche Zeiten. Ein bisserl lächerlich wirkt das alles, um ehrlich zu sein, und kleingeistig, besonders, wenn man daran denkt, dass Gibraltar Zeuge eines Empires möchte. Verstörend.
Wenn ich vor einigen Jahren schon hier gewesen wäre, hätte ich den Brexit wohl besser verstanden, hätte ich besser verstehen können, warum die Referenden und Wahl so ausgehen. Ich begreife, dass das UK niemals Teil der EU war, und es auch nie sein wollte – nicht in dem Sinn, wie wir die Europäische Gemeinschaft verstehen.
Es ist aber nicht die Andersartigkeit, die mich verstört, Eigenheiten sind Zeugnis der Vielfalt, die Europa so interessant macht. Es ist diese geradezu trotzig anmutende Ignoranz dessen, was hier ist. Ist das Kolonialismus? Vielleicht. But who am I to judge?
Mein Verständnis für Eigenartigkeit und mein Respekt für historisch gewachsene Absonderlichkeiten hören allerdings bei den riesigen Dieselgeneratoren auf, die die Stadt 24/7 mit Strom versorgen, anstatt diese an ein normales, existierendes und wesentlich umweltfreundlicheres Festlandstromnetz anzuschließen. Nationalismus wider jede Vernunft, wider die Gegenwart und der Zukunft zum Trotz, hier kann man ihn bestaunen. An der Außenseite der Marina Bay liegt ein riesiges Kreuzfahrtschiff, das hier permanent festgemacht ist, und dessen Absicht es auch nicht ist, diesen Platz jemals wieder zu verlassen. Ein Casino Hotel, das in seiner Hässlichkeit im Stadtteil Ocean Village nicht weiter auffällt – die Wohnblocks, die hier hinbetoniert wurden, haben in ihrem Leben keinen Architekten gesehen.
Wenn man dann durch das Kasematten Tor ins Innere der Stadt vordringt, in die ehemalige Wehranlage, wird alles freilich charmanter. Die Gebäude sind älter und kleiner, die Main Road ist eine Fußgängerzone, viele Häuser könnten auch in Großbritannien stehen. Trotzdem behauptet sich geradezu subversiv ein Hauch mediterranes Flair, der von den Briten widerwillig geduldet zu werden scheint. “Duty Free” Shops säumen die Hauptstraße, die Preise sind teurer als auf der anderen Seite der Landebahn, in den normal für jedermann zugänglichen Geschäften der EU, so auch Kaffee und Essen, auf die die Bezeichnung “britisch” auch geschmacklich zutrifft. Wir stellen fest, dass wir froh sind, nicht im Sommer hierher gekommen zu sein, wenn sich die Touristenhorden durch die engen Gassen schieben.
Entspannt betrachtet ist es ein Kuriositätenkabinett mit einer Disney-Land Attitüde. Für heute genug, den Affenfelsen werden wir in den kommenden Tagen besuchen.
Abends gehen wir ins Zentrum von La Linea de Conception, das ungefähr genauso weit von unserem Liegeplatz entfernt ist, wie Gibraltar. Ohne Pass, Spanien pur. Die Menschen lachen. Local Life auf den Strassen. Das Casino ein heruntergekommener Hoteleingang. Für’s Zocken haben die Menschen hier offenbar beides: zu wenig Zeit und zu wenig Geld. Alles eitel Wonne? Keineswegs! Aber eben da, wo es hingehört.
Seltsame Einrücke, seltsame Gedanken zwischen den Meeren.