E la nave va!
Einhand durchs Azorenhoch
Am Abend war im Hafen nicht die gewohnte Stille eingekehrt. Die Fischer waren aus den Orten heruntergekommen und begannen ihre kleinen Boote zu Wasser zu lassen und die Trawler für eine Fangfahrt fertig zu machen. Das Tankschiff verließ gerade den Hafen, ein Matrose hatte es, in großer Eile, gerade noch rechtzeitig an Bord geschafft. Der Lotse, der das große Schiff aus dem Hafen manövriert hatte, kam kurz nach acht Uhr zurück.
Dafür ließ das Tageslicht am nächsten Morgen lange auf sich warten. Auch die Arbeiter, die den Wellenbrecher sanierten, kamen später. Nur die Fischer machten sich gleichzeitig mit der Europa auf den Weg hinaus aufs Meer. Auch diesmal waren sie in kleinen Booten unterwegs, in dicke Jacken gehüllt mit Kapuzen. Einmal das große Leuchtfeuer des Farol Gonçalo do Velho passiert, wird das Wasser ruhiger. Kaum blitzt die Sonne für einige Minuten heraus, wird es wohlig warm. Die meiste Zeit jedoch bleibt sie hinter einer dicken, tiefen Wolkendecke. Zeit, die Mittagsposition zu machen, von der ab morgen das Etmal gemessen wird: N36°52’ W024°54’.
Wenig später bleibt an diesem grauen Mittag nichts mehr anderes als die Feststellung, dass eine Zivilisation, die Linguini hervorgebracht hat, verdammt viel richtig gemacht haben muss.
Fünfzehn Grad zeigt das Thermometer, trotzdem beißt eine klirrende Kälte zu. Jetzt fängt sich ein Lichtschimmer in den monochromen Wolkenlandschaften, an manchen Stellen zeigen sich Sterne. Geschlafen wird in kurzen Einheiten mal an Deck, dann im Salon neben dem Radar, dessen Alarm verlässlich anschlägt, wenn sich ein Objekt näher als 12 Meilen an die Europa heranwagt. Als es zu dämmern beginnt werden Position und Wetterdaten evaluiert und der Kurs angepasst, während der Duft von frischem Espresso die Kabine erfüllt. In einigen Stunden wird der Motor ausgemacht und auf einen südlicheren Kurs gedreht, dann sollte die Europa aus dem Zentrum des Hochdruckgebiets langsam herauskommen. Bis zur Kursänderung und den damit verbundenen Arbeiten an den Segeln wird nach dem Essen eine Samstag Nachmittag Ruhe gehalten.
Atlantische Einhand Gemüsepfanne
Eine Atlantische Einhand Gemüsepfanne bedient sich dessen, was an Bord ist. Kartoffel werden gekocht, Champignons angebraten. Dann kommen getrocknete Tomaten, Lauch, ein wenig Fenchel und ein paar Kapern dazu. Gemeinsam mit ein wenig Peperonicino, Salz und Pfeffer wird ein wenig fein gehackte Zwiebel und ein paar Tropfen Sojasauce beigegeben. Nachdem das Ganze einmal aufgebruzelt ist, wird mit Weißwein gelöscht. Die gekochten Kartoffel kommen mit der Schale (»Einhand« bedeutet ja, dass man allein an Bord ist) in Scheiben geschnitten dazu. Mit Salz und Pfeffer abschmecken und mit geriebenem Käse der persönlich bevorzugten Geschmacksrichtung überstreuen. Petersilie ist leider aus, also keine Kräuter.
Pünktlich um 1930 setzen die prognostizierten Verhältnisse ein. Das Schiff liegt nun auf Kurs und macht mit ordentlich Lage am Wind 6 Knoten auf den nächsten Wegpunkt Boden gut, die Westspitze Madeiras. Neumond, und das mit Wolken! Es macht keinen Sinn, an Deck zu schlafen. Man sieht rein gar nichts. Die Leebank im Salon dient als Bett, ein Ohr immer am Radar. Kreuzseen lassen den Rumpf immer wieder in die Wellen krachen.
Neumond
Glaubt man einer alten Bauernregel, dann herrscht solche Dunkelheit in gewissen Körperteilen des Fleckviehs. Das Boot ist schwer zu trimmen, wenn man nichts sieht. Der Wind dreht immer wieder um einige Grad, was es schwierig macht, den Kurs zu halten. Jetzt stampft sich die Europa in den Wellen fest, dazu kommt eine tiefe Wolke, die für Unruhe sorgt. Ohne dem nun auf niedriger Drehzahl zugeschalteten Motor wäre der Kurs nicht haltbar. Obwohl die Temperatur eigentlich kaum gesunken ist, beisst wieder die Kälte zu. Bewegung und Schräglage fordern Körper und Geist. Nur wenig Schlaf ist im Salon möglich.
Als die Sonne aufgeht, kann das Boot nun endlich getrimmt werden. Gestern wurden die Segel ja erst bei Einbruch der Dunkelheit gesetzt und waren daher einfach nicht so getrimmt, wie sie es sein hätten sollen! Drei Stunden dauert es, die richtige Abstimmung zu finden – die Bedingungen geben immer neue Rätsel auf, alles scheint sich ständig zu ändern. Immer wieder laufen Wellen quer zur Strömung, wodurch es zeitweise ordentlich rumpelt. Aber schlussendlich macht die Europa passable Fahrt zumindest in die richtige Richtung – das ist ja nicht nichts. Ziel des heutigen Tages ist es, wieder auf die Ostseite der Kurslinie zu kommen, um genug Raum nach Lee zu haben, wenn der Wind später zunimmt.
1200 | N35°16’ W020°14’
Das Etmal beträgt 110 Meilen. Mehr war nicht drin, dennoch ist die Hälfte der Strecke geschafft. Die Hoffnung unter Segel nach Osten zu kommen, zerbröselt allerdings. Als Einhandsegler trifft man Entscheidungen tunlichst früh und tendiert naturgemäss zu einem konservativen Segelstil. Wenn man die Segel erst zu ändern beginnt, wenn sich die Verhältnisse zu ändern beginnen, ist man schon zu spät dran – alles braucht länger.
In diesem Fall hat das frühe Reffen bewirkt, dass die Europa zu langsam wurde. Dann stimmt der Winkel zum Wind nicht, die Wellen schieben nach Lee und das Schiff stampft sich fest. Die Prognosen sind aber eindeutig: Der Wind wird in den nächsten 12-24 Stunden eher zunehmen und Böen bis zu 25 Knoten sind zu erwarten. Um das ständige Aus-dem-Cockpit-Kriechen zum Anpassen der Segel zu vermeiden, bleibt das Reff drin und der Motor muss helfen, das Geschwindigkeitsdefizit auszugleichen. Abgesehen davon ist fraglich, ob die größere Segelfläche allein ausreichen würde, um gegen die bisweilen harten, steilen Wellen anzukommen, die der Wind gegen die Strömung aufwirft. 30° und mehr kann das Schiff mit Hilfe der Maschine östlicher laufen. So sollte es möglich sein, die Kurslinie in ca. 2 Stunden zu überqueren.
1745 N34°57’ 20°05’
Es kommt anders. Die Kreuzseen verschwinden schlagartig unter einer Regenwolke! Seither läuft die Europa ohne Motor und gut gerefft dem Zielpunkt entgegen. In kurzen Abständen ziehen Nieselregen oder kleine Schauer durch, nicht als »Squall«-Zellen, sondern breite, indifferente Wolkenbänder. Manchmal bringen sie Wind, ein andermal nicht.
Jetzt kreuzen zwei riesige Frachtschiffe mit unterschiedlichen Destinationen den Kurs. Gerade in den Regenwolken ist das Radar so unerläßlich wie in diesen finsteren Nächten. Ein Blick auf die Karte zeigt: Die Europa befindet sich auf Höhe der Straße von Gibraltar, aus der die Frachter am laufenden Band aufgefächert in alle Himmelsrichtungen auslaufen.
23. Jänner, Montag
0800 N34°06’ W018°49’
Es ist eine neue Erfahrung, ein derartig großes und intensives Hochdruckgebiet zu durchqueren. Die Kreuzseen im Inneren hatten es in sich. Diese wären ohne Motor kaum zu überwinden gewesen, schon gar nicht mit einer maximal reduzierten Crew. Zusammen mit jener Zeit, die notwenig war, um die Flautenzone im Kern des Hochs zu überwinden, sind verhältnismässig viele Motorstunden zusammen gekommen. Ausreichende Dieselreserven sind also bei West – Ost – Atlantiketappen ein viel größeres Thema als auf der Barfußroute zu den West Indies.
Einhand
Der südöstliche Quadrant des Hochdurcks ist erreicht. Die Wellen sind hoch, aber lang und sanft. Drei bis vier Beaufort wehen gleichmäßig aus Nordost, zum ersten Mal zeigt sich die Sonne. Schlagartig wird es angenehm warm, auch die Luftfeuchtigkeit nimmt wieder zu. Der Übergang aus dem Inneren des Hochs hierher brachte stundenlanges Trimmen mit sich. Ein bisschen mehr Großsegel schien vertretbar und sorgt nun für zügigen Vortrieb. Dazu muss man zum Mastfuß, von wo das Großsegel zum Reffen bedient wird. Dort steht man am Dach der Kajüte, dem höchsten Punkt des Decks, von wo aus die Täler der langen Dünung viel tiefer aussehen als aus dem Cockpit, und es ist, als gleite man wie ein Adler über Bergkämme – erhebend.
70 Meilen sind es noch bis zur Westspitze Madeiras. Einige Stunden länger wird es dauern als aus allen Berechnungen hervorgegangen ist. Alleine ist man einfach langsamer, als mit einer doppelt so großen Crew oder gar noch mehr Seeleuten. Maßnahmen wie Reffen oder Segelfläche vergrößern sind Routinemanöver für jede Crew. Allein an Bord will alles drei- und vierfach überprüft sein. Sitzt die Rettungsweste, sind die Karabiner gesichert? Muss der Motor gestartet werden, um einen stabileren Kurs zu bekommen? Und so weiter – was man tut, tut man langsam und versucht alle möglichen Risikoszenarien vorher durchzudenken. Was gemacht wird, sollte tunlichst zumindest für mehrere Stunden Bestand haben. Ständiges Herumturnen führt zu Erschöpfung, die alleine an Bord unter allen Umständen vermieden werden muss. Manöver dauern daher viel länger und man segelt einfach deutlich langsamer.
E la nave va
Um 0300 erreicht die Europa die Baixas de San Pedro, die Untiefen am Westende der Insel. Das Leuchtfeuer ist schon Stunden früher zu sehen. Den ganzen Tag über hatte ein beständiger Nordostwind geweht, doch die Wellen haben es immer wieder erschwert, einen genauen Kurs zu laufen. Während eines Manövers war es sogar notwendig gewesen, die Maschine kurz im Betrieb zu nehmen, um zu verhindern, dass die Europa aus dem Ruder läuft. Unmittelbar nach dem Starten hat der Motor jedoch kein Gas angenommen und erst nach einigen, langen Momenten zaghaft begonnen hoch zu drehen. Aus diesem Grund wurden nach dem Manöver auch die Dieselfilter kontrolliert und etwas Diesel vom Boden des Tanks abgepumpt, um sicherzustellen, dass dort keine Schmutzablagerungen aus dem Treibstoff die Dieselleitungen verlegen. Beide Untersuchungen förderten keine sichtbaren Verunreinigungen zu Tage.
Bereits 20nm vor der Insel wurde der Landfall vorbereitet. Die Europa machte mittlerweile im halben Wind 7 Knoten Fahrt und mehr, bei deutlicher Lage. An den meisten Kaps und Landzungen wird der Wind gern nochmal abgelenkt, an vielen legt er gern noch die ein oder andere Windstärke drauf. Dessen gewahr und den veränderten Zeitabläufen beim Einhandsegeln Rechnung tragend, wird das Großsegel bereits 8 Meilen vor Erreichen der Landzunge auf ein Minimum gerefft. Mit dem Erreichen der Untiefen verändern sich die Wellen. Dankenswerterweise entstehen aber keine Kreuzseen und die Europa legt nun in dem zunehmenden Wind nur mit dem Vorsegel noch einmal ordentlich Fahrt zu, ehe sie wenig später im Lee der Insel in glattes Wasser eintaucht. Das Reffen hatte sich also gelohnt.
Das letzte Stück nach Funchal muss unter Motor gelaufen werden. Wieder, wie schon am Nachmittag, nimmt die Maschine nach dem Starten kein Gas an. Nur diesmal beginnt sie nicht nach einigen Momenten hochzudrehen, sondern stirbt endgültig ab. Das Geräusch eines versiegenden Dieselmotors mag wohl kein Skipper. Noch ist die Europa unter Segel, aber keine 1000 Meter von der Küste entfernt verliert sie zusehends an Fahrt und damit an Manövrierbarkeit. Lange Rumtrödeln ist da nicht drin und es fühlt sich wie eine Ewigkeit an, Ölzeugjacke, Rettungsweste und Lifebelt loszuwerden, die bei der Arbeit unglaublich im Weg sind.
Wenig später zeigt der Vorfilter jetzt, anders als Nachmittag, etwas Verschmutzung, die aber eigentlich nicht der Grund für den Ausfall sein kann. Das Abpumpen des Tankbodens fördert abermals nur sauberen Diesel. Der Starter dreht, aber der Motor springt nicht an. Hilfreich ist lediglich, dass das Meer ruhig und kaum Bewegung an Bord ist. Um diese Jahres- und Uhrzeit wäre es sinnlos, die Marina zu kontaktieren. Aber gleich die Küstenwache? Die ganze Schererei und der Papierkram! Vielleicht würde es gelingen einen der Fischer zu kontaktieren, die das ruhige Wetter ausnutzen, und ihn um eine Schlepphilfe bis Caletha zu bitten, einem kleinen Hafen bei einer Hotelanlage. Es ist schwierig, den zweiten Dieselfilter zu erreichen und die Schraube zum Entlüften zu lösen. Wenn das Werkzeug – oder gar die Schraube! – jetzt durch eine Unachtsamkeit in die Bilge unterm Motor fällt, beginnt eine Kaskade an Problemen, die gar nicht erst beginnen darf. Nach einigem Fummeln gelingt es die Schraube zu öffnen und mittels der kleinen Pumpe die Leitung zu entlüften. Zum Schluss dann aber das Wichtigste:
Während ich mich vorbeuge und liebevoll mit einem Tüchlein über den Ventildeckel streichle, raune ich dem braven Motor zu: „Bitte, Alter, bitte!“
Die Sekunde, als der Zündschlüssel gedreht wird, gerät zur kleinen Ewigkeit. Und dann läuft die gute Maschine wieder und die Europa zieht erhaben ihre Kielwasserspur einer majestätischen Küste entlang, die von unzähligen kleinen Lichtern mit einem goldenen Amulett überzogen ist. Frisch riecht die Insel, nach Moos und Holz. Die Marina antwortet auf den ersten Funkspruch zu nachtschlafender Zeit, ein freundlicher junger Mann hilft mit den Leinen. Es beginnt zu dämmern.
E la nave va – And the Ship sails on! [Federico Fellini 1983]
Für eine Angsthäsin wie mich, liest sich das wie 24/7 Überlebenskampf. Wie/wann kann man zwischen “die Hand vor den Augen nicht sehen”, Motorausfall und jagenden Wellen so einen schönen, kontemplativen Blog schreiben? Ich versteh’s nicht!