Date: 10. Dezember 2021 um 00:21:45 GMT-5 Location: 29.48°N, 80.33°W
Das letzte Stück
0025 UTC
Was mir die Strömung bisher geholfen hat, steht sie mir nun entgegen. Fast 1,5 kt Fahrt und mehr nimmt sie mir, wobei ich aus den Unterlage entnehme, dass es sich dabei um eine windbedingte Oberflächenströmung handeln dürfte. Das lässt zumindest hoffen, dass sich mein Tempo auf den verbleibenden 90 Meilen noch einmal erhöht.
Nach mehreren Versuchen mit dem Motor aus er Gegströmun zu komn, versuche ich es nun unter Segel. Oft mache ich nur 4 kt , wenn überhaupt. Ich hoffe, ich finde da bald raus…
0045 UTC
Bei 080•22 W reisst die Gegenströmung ab und ich mache wieder normale Fahrt, allerdings passt die Richtung noch nicht. Von hier bis Fernandina kreuzen? Nein! Mal sehen, vielleicht dreht der Wind noch, oder er lässt nach.
0230 UTC
Ich bin zwar draussen aus der Strömung und mache gut Fahrt, die Windrichtung ändert sich aber noch nicht. Wenn ich von hier an 90 Meilen gegen den Wind kreuzen muss, na dann gute Nacht! Ich beschließe, vorerst nahe an die Küste heranzusegeln. Die Hoffnung, dass die Strömungen und auch der Wind sich bis dorthin zu meinen Gunsten ändern, will ich noch nicht aufgeben. Ausserdem kann ich dort die letzten Prognosen und Wettermodelle herunterladen.
0500 UTC
Ruhige Wasser. Der Wind hat nachgelassen, auch der Schwell. Ich motore tatsächlich auf mein Ziel zu! 68 Meilen, das sind 12 – 14 Stunden bei meinem momentanen Tempo.
0900 UTC
Nun scheinen die Dinge im Lot zu sein. Es ist fast windstill und in einer Entfernung von rund 15 Meilen fahre ich parallel zur Küste nach Norden. Richtig kalt ist es hier in der Nähe des Festlandes. 10 Stunden Beträgt meine Fahrzeit noch.
1300 UTC
Der Nordatlantik hat mir einen wunderschönen Sonnenaufgang geschenkt: dünne Fäden rosaroter Wolken und ein stilles Meer.
Klarschiff gemacht, innen und außen, bei mir selbst und beim Boot. Ich blicke voraus auf eine Woche beschauliches Liveaboard, ruhiges Tempo. Einige Schreibarbeit ist zu erledigen, ein paar kleinere Reparaturen und die Covid-Tests für meine Heimreise. Die Marina liegt am nördlichen Ende von Amelia Island. Ins Zentrum des kleinen Ortes sind es rund 2,5 Kilometer. Ich werde ein Fahrrad aktivieren. All diese Informationen habe ich natürlich nur von den Karten, dem Internet und meiner Vorstellungskraft. Umso neugieriger bin ich, wie es dort wohl tatsächlich ist!
1700 UTC
An Jacksonville bin ich schon vorbei. Dort ankerten 6 große Frachtschiffe in Warteposition. Sechs Meilen noch bis zu Einfahrt. Der Tag war wieder sonnig und heiss, für die nächsten Tage sind gleichmäßige Temperaturen angesagt. Auch nachts soll es nur auf 18 Grad abkühlen.
Der Motor lief den ganzen Tag. Ich muss tanken, werde das aber erst nächste Woche tun. Vorher muss ich noch den Geber der Tankanzeige überprüfen. Das geht besser, wenn wenig Diesel drin ist.
Ich sehe Fernandina Beach schon, keine Hochhäuser, dafür eine Fabrik.. Ich habe unterdessen die Karten studiert. Die Fotos vom Ortskern, die im Netz stehen, sehen sympathisch aus. Am nördlichen Ende von Amelia Island liegt der Fort Clinch State Park, der offenbar von der Marina aus über eine Brücke erreicht werden kann. Der Park ist nicht sehr groß, aber scheint einen schönen Spaziergang anzubieten. Noch in Ruhe ein Kaffee, dann beginne ich die Leinen herzurichten, und die Fender.
Über St Marys Entrance führt der Wasserweg ins Innere der Küstenlinie. Wenige hundert Meter werde ich dann am Intracostal Waterway südwärts fahren, ehe ich in einen schmalen Seitenarm, den Egans Creek, einbiege, wo die Marina liegt.
Seit ich wieder näher an der Küste fahre, höre ich den Funkverkehr vom Intracoastal Waterway und bin froh, hier draussen zu sein. Das klingt nach Stress, unterschiedlich großen und unterschiedlich schnellen Booten auf einem doch sehr schmalen Wasserweg.
Die einlaufende Flut gibt mir nochmals einen Schub, der Wasserweg ist gut betonnt. Zu meiner Linken sehe ich Fort Clinch, ehe es auf den Wasserweg geht, vorbei an Trawlern zu dem kleinen, seichten Creek, in dem sich die Marina befindet.
1900 UTC
Tiger Point Marina
Ein junger Mann hilft mit den Leinen, alles ist entspannt, kein Wind. Mit einem Golfwagen bringt er mich vor zum Office und bereits der erste Eindruck vermittelt eine entspannte Atmosphäre. Alles ist zwar gut in Schuss, aber nichts ist „geschleckt“, wie der Wiener sagt. Terrie Sanders, mit der ich seit geraumer Zeit schreibe, empfängt mich. Mir fällt es schwer, den Dialekt zu verstehen, der hier gesprochen wird, aber es findet sich alles. Den Papierkram, meint Terrie, machen wir Montag. Obwohl es erst zwei Uhr ist, und sie noch bis 17 Uhr Dienst hat, ist klar: Heute ist Freitag und Terrie will es ruhig angehen lassen. Sympathisch. Sie erklärt mir alles, versorgt mich Taxi-Rufnummer, WLAN Passwort und Schlüssel. Ihre Handynummer gibt sie mir auch, falls ein Notfall am Wochenende eintreten sollte, sagt aber gleich dazu, dass sie meistens nicht rangeht und ich ihr am besten eine Textnachricht schicken solle.
Unprätentiös ist das richtige Adjektiv für diesen Ort, stelle ich bei meinem ersten Rundgang fest. Kleine Boote liegen hier, einige grössere, alle gut in Schuss, aber keine Angebereien. Hier sind Fabriken in der Nähe, dort werden alte Schiffe abgewrackt, hier ist ein Anleger für Fischer. Das ist ein normaler Ort, kein Ferien Disneyland. Ich mache ein paar Fotos und kehre zurück zur Europa. Während ich mich um den richtigen Strom kümmere – die Europa braucht ja 220V und befindet sich in einem Land, wo per se alles mit 110V funktioniert – taucht mein Nachbar auf. Die „Pilgrim“ ist ein gut 20 Meter langer Zweimaster, auf dem er gerade herumschraubt. Er attestiert mir einen unverkennbaren deutschen Akzent und stellt sich selbst mit Fritz vor. Er ist in meinem Alter, vielleicht ein wenig älter. Seine Eltern kommen aus der Nähe von Dresden. Ich frage nicht weiter, aber es ist klar. Sein Frau taucht auf und ein Hund, wir scherzen ein wenig. Sie seien schon eine Weile hier, und es gefiele ihnen auch sehr. Aber nächste Woche wollen sie runter in die Keys, wo sie den Winter verbringen wollen.
Telefonate mit zuhause, ohne Eile. Wie ich das geniesse. Dann richte ich das WLAN ein, und mache ein paar Handgriffe. Als die Sonne untergeht, schließe ich das Cockpitzelt.
705 Meilen habe ich Einhand zurückgelegt. Zuletzt an Land war ich Montag früh in Key West zum Einkaufen. Die Wetterfenster haben gehalten und die EUROPA war wieder mal ein sicherer Schoß. Für heute reicht es, ich werde früh schlafen.