Cristiano
Heute, wo die Wolken bereits wenige hundert Meter von der Küste entfernt das Meer berühren wollen, ist es, als läge über Allem ein wohlige Decke, unter die man sich an manchen Tagen verkriechen möchte, wenn man Schutz sucht und Geborgenheit vor der Welt. Auch wenn sich die Sonne heute nicht zeigt, ist es mild, gelegentlich nieselt es, das Wasser im Hafen bewegt sich kaum, kein Knarzen der Stege, kein Schlagen aus den Takelagen, kein Zurren der Leinen. Leise hatte der Tag begonnen, und leise neigt er sich seinem Ende zu. Nie rollt viel Verkehr über die Avenida, laute Musik ist genauso selten wie laute Worte. Abends klart der Horizont für einige Augenblicke auf und lässt Dich beim Blick über die Kaimauer die Weite des Ozeans erahnen.
Die Vorbereitungen gehen ruhig von der Hand und neigen sich ihrem Ende zu. Neben den routinemäßigen Wartungen hat der Betrieb des kleinen Luftentfeuchters so große Wirkung gezeigt, dass er sich den Namen »Cristiano« verdient hat, frei nach Ronaldo, kurz “CR7”, dem in Funchal geborenen Superstar.
Funchal ist das Ziel der nächsten Etappe. Für unsere Überfahrt nach Madeira sind die beiden wichtigsten Wettersysteme des Nordatlantik, Azoren-Hoch und Island-Tief, ausschlaggebend. Hatte sich im Dezember noch kein Wetterfenster für eine Passage zum madeirischen Archipel aufgetan, nachdem Nordamerika von diesen grausamen Kälteeinbrüchen heimgesucht worden war, die selbst in Florida Frost verursacht hatten, hat sich nun das Winter-Wetter-Muster etabliert. Das bedeutet, dass zyklonale Tiefdruckgebiete, die sich auf der Nordhalbkugel gegen Uhrzeigersinn drehen, relativ rasch von Westen kommend auf das europäische Festland zu bewegen. Wo sie auf Land treffen, wird – vereinfacht ausgedrückt – im wesentlichen durch die Lagen von Azorenhoch im Süden und Islandtief im Norden bestimmt.
Was all diese Phänomene mit Erderwärmung und Klimawandel zu tun haben, und wie nicht nur die Azoren, sondern mit ihnen auch ganz Europa von der Entwicklung der Wassertemperatur des Pazifik abhängt, schreibe ich vielleicht ein andermal, an einem langen, finsteren und regnerischen Hafentag. Für nächste Woche aber zeichnet sich eine geradezu ungewöhnlich günstige Konstellation dieser Systeme ab, auf die wir unsere Aufmerksamkeit mit großer Freude und Dankbarkeit richten. Während das Islandtief beständig zwischen Island und Grönland sitzt, mit der Tendenz später Richtung Nordkap zu wandern, verbindet sich das Azorenhoch mit einem anderen, starken Hochdruckgebiet, das sich gerade vor der Küste Nordamerikas aufzubauen beginnt, und erreicht eine gewaltige Ausdehnung, die von Lissabon beinahe bis zu den Gestaden Neufundlands reicht.
Für uns bedeutet das, dass wir an der Ostseite des Hochs gute Windverhältnisse finden werden, die uns mit nordöstlichen Winden auf einen Highspeed-Kurs Richtung Madeira bringen. Auf halben Wind wird das Boot stabil liegen, was wir gut brauchen können: Die Wellen, die da kommen werden, werden hoch sein und die Temperaturen zünftig frisch, strömen diese Luftmassen doch von der Arktis herab. Ob wir Montag oder Dienstag aufbrechen, wird sich erst spät weisen – starten wir zu früh, laufen wir Gefahr vor Madeira noch in starke Winde zu geraten, sind wir zu spät dran, schließt sich das Fenster womöglich wieder.
Bin froh, keine Segelbootkapitän sein zu müssen … Ostseite Wind, Wellen hoch, zünftig frisch, zu früh, zu spät, Fenster zu … ogott.
Da ihr die Glücksfische sicher vom richtigen Anfang oder Ende her geknabbert habt, werden sich die Wetterfenster wohlverhalten.
Ich bin ganz verliebt in die melancholisch winterliche Inselstmosphäre. Habt es weiter so stimmig. Danke fürs Teilen ⛵️