Date: 14. Juni 2022 um 03:19:51 GMT
Location: 37.56°N, 45.95°W
Flucht nach Südost
0330
Eine Nacht in 2 Bft, das Wasser kräuselt sich an der Oberfläche, die Europa treibt in leisen Bewegungen ostwärts. Ich habe gut geschlafen und ich werde wohl auf der Wache auch noch de ein oder anderen Nap nehmen. Sanft liegt die Nacht im Mondlicht. Blasse Wolken im Westen am Gemälde des Nachthimmels. Alles wirkt noch weiter in dieser Ruhe, der eine Geborgenheit innewohnt. Ist es die Ruhe vor dem Sturm?
Nein, Sturm erwarten wir keinen. In den nächsten Stunden wird der Wind deutlich auffrischen, die Auswirkungen des in den letzten Tagen immer wieder angesprochenen Neufundlandtiefs werden wir zu spüren bekommen. 20 Knoten und mehr weist die Prognose aus, satte 5, in den Böen bis 6 Bft. Dann werden wir wieder Tempo machen, in den letzten Stunden waren wir zu langsam. Bis Donnerstag Mittag soll es dann so bleiben. Die nächsten beiden Nächte werden nicht so bequem und Risotto werden wir auch keines zubereiten, mit griechischem Weißwein, spanischem Olivenöl und Zwiebeln aus Florida.
Unsere Distanz zum Ziel liegt erstmals unter 1000 Seemeilen.
0800
Die Morgenstimmungen am Atlantik lassen mich nie unberührt.
0940
Der Wind beginnt aufzufrischen. Die Luftfeuchtigkeit ist hoch, es ist eher kühl. Man spürt, dass konsistente Winde aufkommen werden. Wir haben in einer knappen Meile Entfernung die Fontänen von Walen gesehen.
1330
Der Wind hat erwartungsgemäß deutlich aufgefrischt. Noch ist das Wasser flach, morgen um die Zeit erwarten wir Wellen über 3 Meter. Die Wolken sind verblasen, wir machen wieder enormes Tempo. Bald werde ich das nächste Reff einziehen. Die geruhsamen Tage sind erstmal vorbei.
1630
Der Wind steht jetzt in 6 Bft. Ich habe die Wetternachricht vom
NWS OCEAN PREDICTION CENTER WASHINGTON DC analysiert. Sie beschreibt die Bahn des Tiefdrucks und die Lage einer Linie. In einer Entfernung bis 300nm zu dieser Linie in südöstlicher Richtung sollen in den nächsten 24 Stunden Winde zwischen 25 und 35 Knoten möglich sein, samt entsprechender Welle. Wir befinden uns lediglich rund 250 Meilen südöstlich der Linie.
Daher haben wir den Kurs auf 110 Grad geändert, zwei Reffs eingezogen und das Boot getrimmt – jetzt sehen wir zu, dass wir von hier wegkommen und am schnellstmöglichen Weg die 300 Meilen Distanz zu dieser Linie herstellen! Das bedeutet, die Europa auf halben Wind zu einem Tanz auf den Wellen zu bitten.
Und sie tanzt. Dieses Schiff überrascht mich immer wieder, wie sie dem Begriff „seaworthy“ alle Ehre bereitet. Hatten wir einen holprigen Ritt erwartet, gleitet sie nun durch die Wellentäler und schluckt die brechenden Kämme. Andreas schläft tief im Salon.
Das Sonnensegel haben wir weggeräumt, dafür ist der Wind zu stark. Warm ist es wieder geworden und wolkenlos. Bei dem Tempo sind wir in wenigen Stunden aus der Gefahrenzone.
2300
Zu Sonnenuntergang hat der Wind ein wenig nachgelassen. Wir haben die Batterien ein wenig geladen und liegen den Umständen entsprechend recht ruhig. Waren wir schnell genug in den letzten Stunden?