Date: 18. Jänner 2021 um 01:21:21 GMT-5
Location: 23.25°N, 80.38°W
Die Nacht ist jung, als wir um kurz nach 01:00 UTC die Lichter eines großen Schiffes entdecken, das in die Warnzone unseres Radars einfährt. Uhura gibt Laut. Das Schiff ist sehr nahe unserer Kurslinie und die Distanz verringert sich schnell. Der unverkennbar amerikanische Kapitän meldet sich auf unseren Ruf hin sofort. Er befindet sich auf dem Gegenkurs zu unserem und wir verabreden, an unseren Backbordseiten aneinander in einer Entfernung von einer Seemeile vorbeizufahren.
Noch ein bemerkenswertes Detail gibt es zu berichten. Seitdem wir in der Dominikanischen Republik angekommen waren, hatte wir immer wieder ein starkes Rauschen am Funk, das sich manchmal auch mi der höchsten Rauschunterdrückung nicht eliminieren ließ. Das wurde mit der Zeit eher heftiger und so kam mir der Gedanke, dass das vielleicht an uns liegen könnte – vielleicht war die mit zwei Funkgeräten doch etwas kompliziertere Funkanlage defekt, vielleicht produzierte irgendein Stromverbraucher die Störung. Die Suchen blieben ergebnislos. Kurz nachdem wir Inagua passiert hatten, verstummte die Störung. Sie hatte ihren Ursprung also wohl irgendwo am Festland von Hispaniola. Seltsam.
Wir nähern uns nun langsam dem Old Bahama Channel, jener Meerenge zwischen den Untiefen der Bahamas und den kubanischen Cayos, die den gesamten Schiffsverkehr durch Nadelöhr von 10 Seemeilen Breite zwingt.Die Begegnungen dürften sich also in dem kommenden Tagen häufen. Doch zuvor passieren wir noch die erste Untiefe, die ein Vorbote dessen ist, was bald unsere ganze Aufmerksamkeit erfordert. Mitten im zweieinhalb bis dreitausend Meter tiefen Wasser steigt der Meeresboden jäh auf eine Wassertiefe von nur zwei Metern an. Zwanzig Meilen sind es noch bis zu dieser Stelle, die wir wegen der dort zu erwartenden Kreuzseen in einigem Abstand umfahren. Ob wir daher das Leuchtfeuer, das die Untiefe markiert und eine Tragweite von sieben Meilen hat, sehen werden, ist fraglich.
In den frühen Morgenstunden beginnt langsam der Nordostwind einzusetzen. Wir verlassen das Flautengebiet mit seiner teilweise unruhigen See, die von den verschiedenen Windrichtungen und Strömungen aufgepeitscht wird. Drei Stunden vor der Dämmerung hat sich der Wind so weit stabilisiert, dass wir endlich die Maschine abschalten können. Meine Berechnungen ergeben, dass wir noch für rund 45 Stunden Sprit im Tank haben plus der 40 Liter in unseren Kanistern, die uns nochmal knappe 10 Stunden geben. Den Prognosen zufolge sollten wir die Maschine aber nur noch zum Laden der Batterien brauchen. Einzig im Old Bahama Channel gibt es einen Abschnitt von rund 30 Meilen, in dem wir den Motor zur Unterstützung brauchen können, wenn die Windrichtung sich nicht so günstig entwickelt, wie vorhergesagt.
Die Dämmerung gibt langsam einen durchgehend bewölkten Himmel frei und der Lichtschein über einer kubanischen Küstenstadt verschwindet im Tag. Obwohl die Temperaturen mit 23 bis 25 Grad angenehm sind, besteht kein Zweifel mehr, dass wir die tropischen Gefilde endgültig verlassen haben. So einen Himmel haben wir lange nicht mehr gesehen, die Luft fühlt sich herber an. Zwei Stunden später ziehe ich ein Reff ins Großsegel, kein Fehler.
Das Navtex aus Florida schreibt von Kaltfronten, die hintereinander über den Golf von Mexico ziehen und teilweise bis zum östlichen Kuba reichen, also dorthin, wo wir uns jetzt befinden. Diesen Kaltfronten entspringt auch jener Wind, der uns jetzt antreibt. Wenn alles gut geht, sollte er aber im Laufe der nächsten 20 Stunden etwas nach Osten drehen – dann müssen wir nicht mehr Hart-Am-Wind brettern. Da diese Winde von Wettersystemen stammen, die sich nun im Nordosten von Florida befinden und Richtung England ziehen, ist es, Gott sei Dank, kein richtiger „Norther“.
Der Norther
Der Norther ist ein im Winter hier gefürchteter Wind, der von südlich über den Golf ziehenden Kaltfronten geradewegs aus dem Norden kalte Luft mit bis zu 30 Knoten über Key West gegen Kuba treibt. In Havanna, das ja eindeutig an der Nordküste liegt, kann das die Temperaturen- vorübergehend – auf unter 20 Grad drücken. Aber nicht nur wird es kühl, während eines Norther ist beispielsweise die Einfahrt in die Marina Hemmingway, die durch eine enge Fahrwasserrinne zwischen Riffen hindurch führt, kaum möglich, da sich das Wasser an den Untiefen zu stark bricht. Nur in solchen Fällen ist es Yachten überhaupt erlaubt, in den Stadthafen einzufahren, wo der ganze Fracht-, Marine und Passagierverkehr abgewickelt wird. Ungeachtet der Größe des Bootes beträgt die Mindestgebühr 200 USD pro Tag, behauptet jedenfalls unser Küstenhandbuch.
In Havanna selbst setzt der Norther Stadt ordentlich zu. Der Malecon, die vierspurige Straße am Meer, die an den berühmten Prachtbauten vorbeiführt, ist dem Wind und der an der Mauer zum Meer aufpeitschenden Gischt ungeschützt ausgesetzt. Nicht nur die Fassaden, auch Beton, Holz und Eisen halten dem nicht lange Stand. Die Stadtrenovierung gibt sich jede Mühe, zumindest einen Teil der Bauten zu erhalten, kommt aber eigentlich nicht nach. Einige der Häuser sind bereits zur Gänze verfallen. Selbst Bewohner von dahinterliegenden Straßenzügen klagen darüber, dass das Salz zwischen Fensterstock und Mauerwerk in die Innenräume gedrückt wird, Elektrogeräte müssen in Plastikfolie eingewickelt werden, wenn sie nicht unmittelbar dem Verfall preisgegeben werden sollen.
Glücklicherweise sagt die Wetternachricht aus Miami, dass sich nun hinter den Kaltfronten ein Hochdruckgebiet aufbaut und die Winde bis zum Ende der Wochen abflauen. Wie es dann nach unserer 5-7 Tage Quarantäne weitergeht, werden wir sehen. Es kann aber durchaus sein, dass wir ein Wetterfenster für die 70 Meilen Passage nach Havanna abwarten müssen.
Aber first things first! Wir machen knapp 7 Knoten, dürften also auch eine günstige Strömung mit uns haben. Das Unterwasserschiff ist nun wirklich abgefahren und braucht in Kuba dringend einen neuen Anstrich. Umso mehr erfreut uns dieses Tempo, mit dem wir bereits in der Nacht von Dienstag auf Mittwoch in Varadero ankommen könnten.
In eineinhalb Stunden erreichen wir die Einfahrt in die Meerenge und die Spannung steigt. Zwischenzeitlich hatten wir reinen Ostwind, was natürlich besser gewesen wäre, aber jetzt hat der Wind wieder auf die prognostizierte Richtung NO gedreht, fallweise sogar NNO. Hoffen wir, dass wir genug Höhe laufen können, um den unumgänglichen Kurs von 310 Grad zu erreichen.
Plötzlich frischt der Wind auf, ich beschließe die Einfahrt in den Kanal so hoch, wie es die Untiefen erlauben, anzuschneiden. Der Wind nimmt weiter zu und bald finden wir uns in 6 Beaufort Hart am Wind wieder. Groß- und Vorsegel gerefft steuern wir abwechselnd von Hand. Immer wieder steigt Gischt übers Sprayhood ins Cockpit und ich hole meine Ölzeugjacke, die ich ziemlich genau vor einem Jahr auf der Etappe von den Kanarischen Inseln auf die Kap,Verden das letzte Mal anhatte. Der leicht modrige Geruch der Jacke wird umgehend verblasen.
Als es dunkel wird, erkennen wir kleine Leichtfeuer, die die Untiefen gut markieren. Auf der anderen Seite der Traffic-Seperation-Zone kommen uns einige Frachter entgegen, später nimmt der Verkehr ab. Um Mitternacht UTC dreht der Wind ein wenig nach Osten, sodass wir bald auf halben Wind segeln. Das Schiff lässt sich mit dem Reff gut trimmen, und da der Autopilot wieder aktiviert werden kann, schicke ich Anna und Max schlafen. Wenn sich die Bedingungen noch mal ändern, brauche ich eine ausgeruhte Mannschaft.