Date: 19. Jänner 2021 um 02:04:58 GMT-5
Location: 23.25°N, 80.38°W
Old Bahama Channel
Der Wind behält seine Stärke bei. Jetzt laufen wir endgültig einen Halb-Wind Kurs und die Europa spielt alle ihre Stärken aus. Die Wellen schluckt sie und das Tempo, mit sie dem so gerefft durch die 6 Windstärken zieht, lässt keine Wünsche offen. Die Beiden schlafen tief, während das Windinstrument 25 Knoten zeigt und immer wieder kurze, hohe Wellen unter unserem Rumpf durchziehen. Bald werden wir den nächsten Wegpunkt erreichen und weiter abfallen, was die Lage noch ruhiger machen wird. Die Trennline der Traffic Seperation Zone wage ich indes nicht zu überqueren, auch wenn das unseren Weg verkürzen würde. Die Schiffe, die aus Norden kommen sind schnell und wir sind es auch – viel Platz zum manövrieren ist hier nicht.
Langsam drehen wir weiter gegen Westen und mit jedem Grad, das wir abfallen, legen wir an Tempo zu. Noch weitere fünfzig Meilen liegen in der Engstelle vor uns. Wenn uns eine steile Welle hoch genug hebt, können wir bereits einzelne Lichter von Städten und Dörfern an den Ufern Kubas unterscheiden, als wären sie zum Greifen nahe.
Und dann geschieht das Unsagbare: Ich ziehe eine lange Hose an, weil es schlicht und ergreifend zu kalt ist. Dieser Wind kommt aus einer Kaltfront, die ihrem Namen gerecht wird.
Sieht der Verkehr anfangs ruhig und überschaubar aus, häufen sich die Frachtschiffe bald in der Meerenge. Zuerst überholen uns zwei, Funkversuche bleiben diesmal unbeantwortet. Egal, die Sache ist ohnehin klar. Wir befinden uns in der Mitte der Straße, ziemlich genau auf der Trennlinie zwischen den Sektoren. Die uns überholenden Frachter tun dies auf unserer Steuerbordseite, der Rest kommt uns auf unserem Backbordbug entgegen. Wenige Meilen vor dem Ende der „Traffic Seperation Zone“ wage ich den Kurs abzukürzen und „schneide“ die letzte Kurve. Zeit für ein Nickerchen, der Wecker steht auf 20 Minuten. Der Kontrollblick nach der ersten Runde liefert keine neuen Erkenntnisse und ich döse ein zweites Mal ein. Plötzlich fällt die Bestecklade mit einem lauten Knall aus dem Kasten und ich fahre hoch. Ein Orientierungsblick zeigt: Innerhalb weniger Minuten hatte sich die Lage vollkommen geändert. An meiner Steuerbordseite zwei Uns überholende Frachter, nahe, aber in sicherer Distanz, zwar schneller, aber auch nicht so viel schneller als wir, vielleicht drei, vier Knoten. Und vor uns helles Licht, keine Positionslichter zu erkennen, verwirrend. Ich beschliesse den Kurs um gut 25 Grad nach Steuerbord zu ändern, die Frachter scheinen mir kalkulierbarer als das, was da vor uns ist – was immer es auch ist. Sollte es sich um eine Bohrinsel handeln, die nicht auf den Karten eingezeichnet ist? Erst als ich das Radar konsultiere, erkenne ich, dass das nicht ein Objekt ist, sondern zwei. 10 Minuten später passieren wir einen in Summe gut und gern 1 Meile langen Schleppverband. Ein kleines Schiff zieht eine riesige Arbeitsplattform mit Helipad. Gas? Öl? Keine Ahnung. Erst von der Seite, als der kleine Schlepper nicht mehr vor den hellen Lichtern der Plattform ist, erkenne ich die Lichterführung, und wir fahren aneinander in knapp einer Meile Abstand vorbei. In dieser Nacht im Old Bahama Channel habe ich zum allerersten Mal ein AIS vermisst. Gibt zu denken.
Als wir den Kanal verlassen, ist es amtlich: Wir sind im Golf von Mexico, dessen Gewässer sich bis hierher ausdehnen. Erst als die Lage wieder klar und sortiert ist, beginne ich Besteck und Lade einzusammeln. Die gute Europa weckt mich also, indem sie mit Laden wirft. Wie effizient!
Am Nachmittag beruhigt sich der Wind von 6-7 Bft auf 4-5 Bft und mit ihm wird die Welle flacher. Keineswegs langsamer aber ungleich ruhiger segeln wir gen Westen. Die „Kinder“ versinken in Hörbüchern und genügen einander. Für mich wird die Fahrt dadurch eher zum Einhand – Trip. Das stört mich nicht, ich bin die meisten Meilen allein gesegelt, gibt mir Gelegenheit, mich in die Geschichte Kubas zu vertiefen und meine Gedanken in eine diffuse Zukunft hinauszustrecken.