3600 Meilen, 72 Stunden und warum Klopapier kapitalistisch ist
Das Gas ist endgültig aus. Ich hatte vergessen, dass die vierte Flasche nicht mehr voll war. Wir hatten sie auf den Kap Verden gegen eine neue getauscht, um während der Atlantiküberquerung die Flaschen nicht wechseln müssen.
Am Ende ist es dann der Mann im weißen Peugeot, der uns einen anderen Mann in einem metallic-blauen Buick aus den 50er Jahren organisiert, der ein Schlauchstück hat, mit dem unsere Gasflasche befüllt werden kann. Aber – wie gewonnen, so zerronnen. Am nächsten Morgen ist das Gas schon wieder leer. Ich glaube, dass das Ventil leck ist und tausche den gesamten Gasanschluss. Stand ohnehin schon lang auf meiner To-Do Liste, daher habe ich nicht nur glücklicherweise die Ersatzteile an Bord, sondern auch die Adapterstücke und nun stehen uns gegenbenenfalls auch die größeren, amerikanischen Gasflaschen zu Verfügung.
3600 Meilen sind wir gesegelt, und trotz all der wunderbaren Eindrücke und Erlebnisse hat diese Reise etwas Verstörendes. Plötzlich nicht mehr überall hin zu können, ist mir fremd und ich will dieses Gefühl nicht haben. Dennoch haben wir das Ziel, das wir uns gesetzt haben, erreicht. Das ist beachtlich in diesen Tagen. Andererseits bin ich unsicher, ob es die richtige Entscheidung war, das Schiff in Havanna zu lassen – aber diese Entscheidung ist getroffen, wir fliegen Mittwoch, und damit ist es müßig darüber nachzudenken. Die Planung für die Überstellung nach Florida zu Ostern haben bereits begonnen, und das Schiff wird jetzt schon dafür vorbereitet.
Die Gasflaschen werden wohl erst morgen kommen, Anna und ich gehen daher zum chinesischen Lokal Essen holen, wo ich aus der Gaststube heraus im Nebenraum eine Espresso Maschine entdecke. Die Kellnerin drückt beide Augen zu und serviert uns zwei Doppelte: Himmel auf Erden. Während wir aufs Essen warten, unterhalten wir uns darüber, was wir von dieser Reise mitnehmen können – trotzdem der allgegenwärtige Mangel in Kuba deprimierend ist? Wir sprechen über die Brände in Brasilien, die Zeit in der Dominikanischen Republik und Kuba. Wir haben unsere Teller mitgebracht, um das Essen aufs Boot zu tragen und uns fällt ein, dass man auf den Märkten Obst und Gemüse einfach in die Hand gedrückt bekommt – eine Tasche muss man selbst mitbringen, Plastiksackerln gibt es schlichtweg wenn überhaupt, dann nur ganz selten. Die Pizza zum Mitnehmen wird auf einem selbst zugeschnittenen Karton mit Folie abgedeckt.
Der Wert vieler unsere Ressourcen ist uns durch den Mangel auf eine besondere Art bewusst geworden. Klopapier hat in der Tat einen völlig neuen Stellenwert, wobei ich gestern die Toilette im mittlerweile privat geführten Yachtclub »Club Nautico« aufgesucht und erkannt habe: Die kapitalistische Privatwirtschaft kann sich Klopapier nicht nur leisten, sondern es auch einem nichtzahlenden Gast zur Verfügung stellen.
Von Brot, Milch, Butter oder Fleisch will ich gar nicht reden. Versorgen kannst Du Dich nur, wenn Du wen kennst, der wen kennt, der Bauer ist und vielleicht selbst ein paar Hühner hat. Ein Kubaner wäre fassungslos, wenn er sehen würde, was wir alles wegwerfen. Die Grenze zwischen Großzügigkeit und Verschwendung ist so unscharf.
Am Samstag Nachmittag scheucht uns das Gerücht auf, dass wir einen PCR Test für unsere Heimreise bräuchten. Klare Auskünfte sind nicht zu bekommen: Für die Einreise nach Österreich brauchen wir keinen Test, heißt es auf der Webseite des Aussenministeriums. Die Spanier würden einen verlangen, meint jemand anderer. Wir reisen aber gar nicht nach Spanien ein, erwidere ich, sondern bleiben im Transit. Achselzucken. Am Flughafen würden sie einen Test von jedem verlangen, sagt ein Dritter. Der Dockmaster hilft mir, den österreichischen Botschafter zu erreichen. Die Verbindung ist so schlecht, dass wir schreien müssen. Theoretisch bräuchten wir keinen, sagt er, aber man wisse nie, die Spanier seien bei Flügen aus der Karibik heikel. Sehr freundlich, aber wenig eindeutig. Ein Test ist aber jedenfalls auch in unserem Interesse.
Sonntag Früh führt uns Walter zu einer kleinen »Klinik« in der Nähe. Lange Schlange, freundliches Personal. Zweieinhalb Stunden brauchen wir, bis wir drankommen, dann geht alles flott. Ausser vor der Klinik sind kaum Menschen auf der Straße und auch wir sind nicht in Ausflugslaune.
Wir sind gerade bei den letzten Arbeiten am Boot, als ein E – Mail von der Botschaft kommt, dass wir nicht nur einen PCR Test bräuchten, sondern unser Transit in Madrid auch über die Fluglinie genehmigt werden müsse. Der Flug ist übers Internet gebucht, nirgends brauchbare Kontakte, nur Telefonnummern in Wien, für uns hier unerreichbar. Kathi klemmt sich in Wien hinters Telefon, wenn sie bis morgen Mittag keinen Erfolg hat, muss ich versuchen, das Büro der Iberia in Havanna hier zu erreichen, was laut Botschaftssekretär schwierig sei.
Mittlerweile ist es vier Uhr morgens und ich habe nicht sehr tief geschlafen. “El Norte” fegt wieder mit 25-30 Knoten über Havanna, die Takelagen klappern, es hat deutlich unter 20 Grad, Winter. Zum ersten Mal seit Mitte November lange Hose.
Kathi telefoniert gerade mit dem Iberia Büro in Wien, die offenbar von einer Genehmigung für den Transit nichts wissen. Wir seien weniger als 24 Stunden im Transit und müssten daher bei Antritt der Reise lediglich die Regeln erfüllen, die für die Einreise in Österreich gelten und das sind für uns: Keine.
Wirklich beruhigt bin ich nicht. Dazu kommt die Sorge wegen des PCR Tests. Dieser dürfe nämlich angeblich, wie international üblich, nicht älter als 72 Stunden sein – eine schriftlichte Regelung finde ich dazu aber nirgends. Die Auswertung des Tests kann in Kuba bis zu 72 Stunden dauern. Wir haben den Test Sonntag Vormittag gemacht, weil es Sonntag Nachmittag auch gar nicht möglich gewesen wäre. Der Flug geht Mittwoch kurz vor Mitternacht. Streng genommen sind das mehr als 72 Stunden. Wenn wir den Test überhaupt brauchen. Niemand weiß nichts genaues, we cross the bridge when we come to it.