Lockdown
Jetzt ist es also wieder so weit und hier ist nicht der richtige Platz, die Gründe zu diskutieren oder seinem Ärger Luft zu machen. Vielmehr versuche ich die Geschehnisse zu bewerten. Die Lage ist nach wie vor sehr instabil und da es sich um eine Pandemie handelt, sind politische Grenzen von beschränkter Bedeutung.
Logbuch schreiben – und lesen! – ist ein guter Zeitvertreib in dieser Lage, oder? Die Einreise in die USA – und damit das Besteigen eines Flugzeuges – ist an 2G+ gekoppelt, also geimpft plus valider PCR Test plus FFP2 Maske. Einmal in Florida werde ich mich von Menschen und Menschenansammlungen fern halten. Nirgends geht das so gut wie auf einem Boot!
Verlassen wir also für einige Momente die schnöden Unpässlichkeiten der kontinentalen Wirklichkeit, und widmen wir uns den Fragen der Planung.
Going or Gone with the Wind?
Genau genommen gehören das Karibische Meer und der Golf von Mexiko zum Nordatlantik. Dennoch fühlt es sich irgendwie anders an, hinter der Inselkette der Kleinen und der Großen Antillen zu navigieren. Vielleicht liegt das an den Legenden von den Piraten und deren versteckter Schätze, vielleicht auch am Wissen, dass es von hier nur mehr ein kleiner Schritt durch einen kurzen Kanal in die scheinbar unendlichen Weiten des Pazifischen Ozeans ist?
Dem Nordatlantik hingegen wohnt der rauher Ruf einer anderen Art inne. Welch große Geschichten ranken sich um die Forscher der Arktis? Und wissen wir nicht auch, dass die Vikinger Amerika viele Jahrhunderte vor Columbus betreten haben? Die wilden Erzählungen von der Entdeckung Grönlands und der scheinbar ewigen Dunkelheit ziehen uns auch heute in ihren Bann – und wer die zerklüfteten Küsten Irlands und Schottlands bestaunt, ahnt mehr davon.
Nichts davon erwartet mich. Die Keys sind ein erschlossenes, touristisches Gebiet, wie ganz Florida. Mit Ausnahme des Everglades National Park ist die Küste durchgehend dicht besiedelt. Die sternenklaren Nächte werden also wegen der Lichtverschmutzung selten sein. Marinas und Häfen wollen so weit als möglich vermieden werden. Die Liegegebühren für eine einzelne Nacht im Zentrum von Miami kosten mehr als die Verpflegung für die gesamte, dreiwöchige Reise.
Meine Route wird mich zunächst aus der Bucht von Tampa eineinhalb Tage lang nach Süden führen, ehe ich in Key West Station machen werde. Die seichten Gewässer entlang der Everglades lasse ich links liegen. Alleine lohnt es nicht, in diesen Untiefen zu navigieren. In Key West gibt es einige Ankerplätze, die vor den verschiedenen Wetterlagen Schutz bieten und daher zu einem zwei- bis dreitätigen Stop einladen. Es ist leicht, mit der Barkasse anzulanden, um essen oder einkaufen zu gehen. Key West ist der westlichste und der südlichste Punkt der Reise, und daher auch jener, an dem die angenehmsten Temperaturen zu erwarten sind, der Golfstrom erwärmt das Wasser und lädt zum Baden ein.
Der Abschnitt zwischen Kay West und Miami bietet zwar noch viele Gelegenheiten zum Anlegen in Marinas, aber geschützte Ankerplätze gibt es erst wieder nach rund 100 Meilen in der Gegend von Key Biscayne.
Von Miami nordwärts werden die Ankerplätze dann rar. Hinter der Küstenlinie verläuft der ICW – Intracoastal Waterway, ein Wasserstrassensystem, das vom Atlantik geschützt ist, aber mit einer in diesem Bereich nur engen Fahrwasserrinne nicht zum Segeln taugt und nur unter Motor befahren werden kann. Viele “Private Properties” und Marinas säumen den ICW, aber da er ausserhalb der Fahrrinne extrem seicht ist, gibt es in diesem Abschnitt nur wenig Ankermöglichkeiten. Hebe und Drehbrücken müssen für Segler mit höheren Masten eigens öffnen. Das bedeutet Wartezeiten. In der Nacht sind die Wasserstrassen schwer zu befahren, die Sicht ist wegen der hellen Küstenlinie schlecht. Wenn man 40 oder 50 Meilen an einem Tag schaffen will, muss man sehr früh los. Durchgehende, konzentrierte Ruderwache sind vonnöten, es gibt keine Zeit zum Verschnaufen.
Dass ist tatsächlich nur in diesem Abschnitt des ICW so, der auch gern „The Great Loop“ genannt wird. Der 5800 Seemeilen lange Wasserweg führt entlang der Ostküste bis Boston, westwärts zu den großen Seen und nach Chicago und dann quer durchs Land nach Süden bis New Orleans und entlang der Küste des Golfs bis Florida. Obwohl man auch mit Segelyachten der Größe der EUROPA mit einer Masthöhe bis 65 Fuss den Wasserweg befahren kann, absolvieren doch hauptsächlich Motoryachten diese Tour, die vor allem unter amerikanischen Pensionisten sehr beliebt ist.
Entwickelt wurde der Intracoastal Waterway bereits im 17. Jahrhundert und in der Folge stets erweitert und ausgebaut, um den Warenverkehr an der Ostküste sicherzustellen. Durch den ICW wurden Boston, New York, Philadelphia, Washington und viele andere Metropolen der Ostküsten verbunden. Das Gebiet nördlich von New York wird von den meisten „Loopers“ allerdings ausgelassen.
Sollte es das Wetter zulassen, werde ich also in einem Abstand von 10 bis 30 Seemeilen von der Küste versuchen, den nordwärts ziehenden Golfstrom für mich zu nutzen. Nördlich von West Palm Beach vergrößert sich der Winkel zwischen Golfstrom und Küstenlinie, ein Grat im Meeresboden erzeugt ein Plateau vor der amerikanischen Ostküste mit nicht sehr tiefem Wasser. Gleichzeitig strömt aus dem Norden kühles Wasser herein und ich gehe davon aus, dass auch die Temperaturen in diesem Bereich fallen werden. Warme Kleidung habe ich an Bord. Da mein Zeitplan eng ist, werde ich gute Wetterbedingungen nutzen, um mit weiten Schlägen Meilen zu machen. Bleibt zu hoffen, dass der Verkehr vor der Küste nicht zu dicht ist.
Welche Wetter- und Windbedingungen mich erwarten, ist einigermaßen vorhersehbar. „Einigermaßen“ ist ein dem Unvorhersehbaren geschuldeter und daher dehnbarer Begriff. Die Hurrikan Season ist gerade erst vorbei, das Wetter beginnt sich langsam umstellten. Die Tiefdruckgebiete, die über den winterlichen nordamerikanischen Kontinent in der Regel von West nach Ost ziehen, werden meine besondere Aufmerksamkeit bekommen, bestimmen sie doch die Wind- und Temperaturverhältnisse. Die Zeit der „Northern“, wie sie in Cuba heissen, ist allerdings eigentlich noch nicht angebrochen. Aber was bedeutet „eigentlich“ in Zeiten des Klimawandels? Abgesehen davon liegt Florida auf der nördlichen Halbkugel und es ist – daran führt kein Weg vorbei – Winter.
Der erste Abschnitt zwischen Tampa und Key West führt durch den östlichen Teils des Golfs von Mexiko. Oben beschriebene Tiefdruckgebiete erzeugen in der Regel nordwestliche und nördliche Winde, welche kühl sind, aber – solange sie nicht zu stark sind – eine rasche Fahrt versprechen. Unter normalen Bedingungen wehen leichte ablandige Ostwinde, die mich durch ruhiges Wasser, aber auch in gemächlicher Fahrt nach Süden bringen. Da kann schon mal ein Stück der Motor laufen müssen. Am südlichen Ende Floridas, wo die „Keys“ sich sichelförmig gegen Westen strecken, weht der Südostpassat noch aus. Das bedeutet, dass ich zwischen Key West und Key Biscayne möglicherweise gegen der Wind kreuzen muss.
Ab Miami gilt es neben den winterlichen Tiefdruckgebieten über dem Kontinent auch die großen Sturmgebiete zu beobachten, die um diese Jahreszeit im Nordatlantik entstehen. Sie ziehen allesamt glücklicherweise Richtung Nordost, also Richtung England, Frankreich, Norwegen. Aber an ihrer Rückseite, an der ich mich bewege, kann das auch durchaus hilfreiche Bedingungen erzeugen.
Ein Blick auf die Karte veranschaulicht, worum es geht. Was verwirrend klingt, ist klein Grund zur Besorgnis. Durch die Nähe zum Festland ist die Versorgung mit Wetternachrichten in jedem Fall gut. Möglicherweise werde ich sogar auch im zweiten Teil der Reise über Internet Empfang verfügen. Wenn sich die Bedingungen zu meinen Ungunsten ändern, gibt es immer die Möglichkeit an einer geeigneten Stelle hinter der Küstenlinie in einer Marina oder einem Hafen Schutz zu suchen. Die Einfahrten, durch welche die hinter der Küstenlinie liegenden Gewässer erreicht werden können, die sogenannten „Inlets“, treten in solchen Abständen auf, dass sie von der geplanten Route aus innerhalb eines halben Tages erreicht werden können.
Das Ziel der Reise ist die Tiger Point Marina in Fernandina Beach, auf Amelia Island. Der vermutlich der nördlichste Ort Floridas liegt direkt an der Grenze zu Georgia. Hier wird die Küste immer feingliedriger, sie ist von kleinen Wasserwegen durchzogen, die Flußmündungen verbinden, unbesiedeltes Gebiet durchsetzt mit kleinen, unbewohnten Schilfinseln. Die wilde Romantik der Südstaaten und der Geruch einer verklärten und keineswegs ruhmreichen Vergangenheit.
Wenn alles gut geht, sollte ich so ankommen, dass ich die Gegend zwischen Jacksonville und Brunswick vor meiner Heimreise noch ein wenig erkunden kann. Hier gibt es auch mehr Ankermöglichkeiten, die Städte werden kleiner, provinzieller zwar, wie ich fürchte, dafür aber hoffentlich ein wenig unaufgeregter, wie ich andererseits hoffe. Die Gezeiten sind in diesem Gebiet ein wichtiges Thema, allerdings nicht wegen der sich verändernden Tiefen, sondern wegen der teilweise starken Strömungen, die sie zwischen den Inseln erzeugen. Die Tiger Point Marina ist klein, hat wenige Wasserliegeplätze und eher die Anmutung eines Shipyards. Die EUROPA kommt daher dort auch wieder an Land.
Wie das alles wird? – Wir dürfen gespannt sein! Und ich freue mich wieder auf Eure Begleitung zumindest hier im Logbuch…