Alles ist anders als der Schein trügt
Die Marina Hemmingway wurde in den 50er Jahren angelegt und war damals sicher einer der unkonventionellsten und besten Yachthäfen weltweit. Seither ist aber nicht viel passiert. Nicht nur die Farbe bröckelt, auch der Beton der Molen, eine kleine Belegschaft kämpft einen aussichtslosen Kampf gegen den Verfall. Bonjour Tristesse. In vier Kanälen, jeder knapp einen Kilometer lang, liegen die Boote längsseits. Im Falle eines Hurricanes werden die Boote in die Mitte des Kanals gelegt und zu beiden Seiten vertäut. Seit Bestehen der Marina ist hier kein Boot in einem Wirbelsturm zu Schaden gekommen.
Die Einfahrt führt durch einen gut betonnten, aber nur 75 Fuß engen Kanal zwischen zwei Riffen durch. Wieder müssen wir uns bei Imigraçion und Zoll melden, wieder werden wir nach der Drohne befragt, der versiegelte Koffer wird fotografiert. Dann wird uns ein Platz direkt beim Dockmaster zugewiesen, der hier der König ist. Ohne ihn geht gar nichts, mit ihm (fast) alles. Das Internet ist kaputt, später finden wir ein paarhundert Meter weiter beim Yachtclub ein WLAN, bei dem wir uns mit unseren Touristenkarten einloggen können.
Viele Schiffe sind nicht hier und jeder Blick gibt Mangel, Verfall und Armut preis. Der Mediziner, der uns nach unseren Lebensmittelvorräten befragt, bittet ganz offen um ein Trinkgeld. Wir reden kurz. Die Lage sei sehr schwierig. Ruben, ein drahtiger älterer Mann, schließt unser offenes Kabel so an den Strom an, sodass wir 220V bekommen. Er lacht und freut sich über das Tip.
In der Anlage gibt es einige Lokale und Hotels, zumindest theoretisch. Alles ist geschloßen, und was nicht geschloßen ist, ist desolat. Im Supermarkt sind die Regale leer, nur ganz hinten finden ich ein Fach mit Spülmittel. Davon allerdings 200 Flaschen. Um uns zu versorgen, werden wir also in den nächsten Tagen raus müssen. Nur eine Pizzeria/Cafeteria hat für Take-Away offen. Die Distanzen sind so groß, dass es sich lohnen würde, die Räder auszupacken. Andererseits – wo sollten wir hinfahren? Wenn wir die Marina verlassen, müssen wir sowieso ein Taxi nehmen.
Wir sortieren uns aus, essen eine Kleinigkeit und besprechen die Lage. Wir entscheiden uns dafür, dass wir alle Drei gemeinsam nächsten Mittwoch, 3. Februar, heimfliegen werden. Unser Iberia – Flug startet um 23:35 in Havanna und ist irgendwann am Vormittag in Madrid, wo wir 17 Stunden auf eine Maschine nach Wien warten werden müssen. Ankunft Freitag, Reisezeit 29 Stunden.
Wir machen das Deck sauber und nehmen die Segel runter, waschen die Cockpit – Pölster. Der Segelmacher kommt, um die Segel zu waschen – und fragt uns, ob wir Reinigungsmittel hätten, er habe nämlich keines. Zu meiner Verwunderung erfahre ich vom Dockmaster, dass die Marina entgegen der E-Mail Auskunft, die ich erhalten hatte, über keinen Travellift verfügt. Was im ersten Moment wir ein großes Problem aussieht, ist bei genauerer Betrachtung eigentlich keines: Die Antifouling-Farbe ist in ganz Kuba nicht zu bekommen, damit sind auch alle Überlegungen, nach Varadero zurückzufahren, obsolet.
Eine Marina ähnelt ja in gewisser Weise einem Krankenhaus. Die Wahrscheinlichkeit, dass man auf der Station, wo man liegt, jemanden kennenlernt, der an einer ähnliche Krankheit leidet, ist relativ groß. Das gemeinsame Leiden vereint und bietet stets Gelegenheit, ein Gespräch zu beginnen.
Tim
Ein dicker, blonder Mann kommt vorbei, der schon aus der Ferne das Boot betrachtet. Wenig später steht er an der Mole und erkundigt sich nach dem Baujahr, bald stellt sich heraus, dass der Mann weiß, wovon er spricht – und sich mit Segelbooten und im Speziellen mit Hallberg-Rassys gut auskennt. Früher sei er selbst gesegelt, seine Frau liebe Segelboote. Tim ist Amerikaner und mit einer Kubanerin verheiratet. Mindest die Hälfte des Jahres seien sie hier und Kuba ein so wunderschönes Land. »Gottseidank sind wir dieses Arschloch los«, sagt Tim, als wir über das Embargo reden, wen er meint, brauche ich Euch nicht zu sagen. Er sei auch mit einem Boot hier, sagt er, das liege weiter vorne. Ein Trawler. Ein paar Sätze später hat Tim einen Typen organisiert, der sich darum kümmert, dass unsere europäischen Gasflaschen gefüllt werden, die natürlich mit keinem Anschluß hier kompatibel sind. In einem Nebensatz erwähnt Tim, dass sein Trawler 70ft lang ist. Als ich mir eine Pizza holen gehe, sehe ich das Boot meines neuen Freundes. Die Einladung zum Kaffee werde ich annehmen!
Indian Town
Später gehe ich das Logbuch durch und rechne aus, dass wir 3610 Meilen zurückgelegt haben. Nicht übel. Ich übertrage unsere GPS-Tracks in die elektronische Karte. Key West gerade 80 Meilen von hier, also leicht zu erreichen.Mit einem anderen Amerikaner, der allein auf einem sehr sympathischen, kleinen Boot segelt, habe ich die Situation mit dem Service ebenfalls diskutiert. Nachdem ich sagte, dass ich mich mit dem Gedanken tragen würde, für das Service nach Florida zu gehen, erhielt ich eine interessante Empfehlung: Indian Town Marina – http://www.indiantownmarina.com.
Dies sei angeblich die günstigste Marina in ganz Florida und dazu noch Hurricane – sicher! Warum? Die Marina liegt bei 27°01,13’N und 80°26,5’W im St. Lucie Kanal, der die beiden Küsten Floridas verbindet und durch den großen und auf jeder Karte leicht zu findenden Lake Okeechobee führt. Bis zum Inlet in den Kanal auf der Atlantikseite sind es ca. 300 Meilen, eine günstige Strömung noch dazu.
Sobald ich im Netz bin, recherchiere ich – und da kommt die herbe Enttäuschung: Wir sind um einige Zentimeter zu hoch, um unter allen Brücken durchzukommen. So ein Mist. Als ich vom Internet-Empfangsbereich zurück zum Boot gehe, denke ich nochmal nach. Warum eigentlich nicht? Das Legen des Mastes kostet laut der Webseite ca. 250 Dollar und ist in längstens einer Stunde erledigt. Zudem hätte ich Gelegenheit, das Masttop in Ruhe einer Überholung zu unterziehen und die Toplaternen mit LEDs auszurüsten. Wenn ich das Schiff im April dorthin bringen würde, müsste es sowieso die Hurricane Season dort verbringen. Die Gefahren, die ein Hurricane mit sich bringt, sind ebenfalls wesentlich geringer, wenn der Mast nicht steht. Und der Preis für den Liegeplatz ist natürlich auch bestechend.
Eine viertägige Quarantäne in Havanna samt PCR Test eingerechnet, dann Einklarieren in Key West und dann bis in die Gegend von Palm Beach. Noch einen Buffer fürs Wetter eingerechnet veranschlagen wir 10 Tage. Also in zwei- bis zweieinhalb Wochen sollte das ganze abzuwickeln sein. Nichtsdestotrotz werde ich noch andere Marinas in der Gegend recherchieren… – oder hat jemand von Euch einen Tip, oder kennt wen…?
Wie schon in Varadero kommt hier um acht Uhr morgens der Bus mit den Angestellten. Und um fünf Uhr kommst der Bus wieder. Dann kehrt hier Ruhe ein.
Und dann liegt da noch ein Boot, dessen Eigner noch bei der Namensgebung Luft nach oben hat…
Quasi ein “Bomben-Ende” 😉 des Eintrags, hat mir ein herzliches morgendliches Lachen beschert! …ein äußerst kreatives Wortspiel…. auf diese EignerInnen wäre ich sehr neugierig!