Vergessen wir Houston.
0000 | Etmal: 180nm
Wachwechsel. Andreas macht einen guten Eindruck, bekommt das dritte Paspertin, einen halben Apfel, halbe Banane und 2 Scheiben Knäckebrot.
Der Golfstrom bekommt hier heroben immer wieder meanderatige Abzweigungen und Seitenarme. Einen solchen durchqueren wir jetzt, was die Sache wieder ruppig macht. Ich beschließe, nun auch ein Reff ins Vorsegel zu machen. Das Schiff wird etwas langsamer, liegt aber ein wenig ruhiger. 6 kt durchs Wasser, 7 über Grund, das ist ausreichend.
Die Abzweigung des Golfstroms, mit der wir es zu tun haben, sieht aus wie ein Divertikel. Die eigentliche Strömung läuft nordwärts, nun biegt ein Teil nach Süden ab, dreht schließlich eine enge Kurve wieder nordwärts, um sich dann aber spiralförmig einzudrehen. Wie ein Wasserstrudel beim Abfluss in der Badewanne.
Diese Vorstellung hängt einige Minuten in meinen Gedanken, während ich im Salon am Einschlafen bin. Schließlich klettere ich ins Cockpit und ändere den Kurs ein wenig nach Süden, um ein klein wenig vom „Auge“ des Strömungsstrudels wegzubleiben. So weit ist das Bermudadreieck auch nicht weg.
0600
Wachwechsel. Wetterleuchten über dem Festland, das 400 Meilen hinter uns liegt. Da gehen ordentliche Gewitter runter, wir sind nicht zu früh abgefahren.
1000
Während sich die Sonne erhebt, sind wir auf der anderen Seite des Strömungswirbels. Ein paar Stunden wird‘s noch ruppig bleiben, dann haben wir ruhiges Wasser bis Bermuda. Wir sind ziemlich genau 60 Stunden unterwegs und haben die Hälfte der Strecke hinter uns.
Energiemanagement
Am dritten Tag kann ich nun erstmals Bilanz ziehen, was das neue Batteriesetup angeht. Nochmal zur Erinnerung: In Brasilien haben wir neue Solarpanele installiert, 2 x 160 Watt. In St. Petersburg habe ich dann den Solarregler erneuert, nachdem sich herausgestellt hatte, dass der alte für die neuen Panele nicht mehr geeignet war. Was Robert mir in The Sailor‘s Wharf“ verkauft hat, war, wie sich nun herausstellt, ein wirklich gutes Gerät. Als ich das Schiff im Dezember auf die Atlantikseite segeln wollte, waren die inzwischen 8 Jahre alte Batterien am Ende. Da die die Batterien in den USA andere Dimensionen haben, und nicht so einfach in die dafür vorgesehen Halterungen passen, konnte ich nur ein Provisiorium installieren. In der Tigerpoint Marina hat Matt, selbst erfahrener Fahrtensegler und daher ein geradezu glühender Verehrer von Hallberg-Rassy Booten, herumgetüftelt und die Batterien aus St. Pete ergänzt. Statt ursprünglich 5 großer Batterien haben wir nun 8 Batterien unterschiedlicher Größe an Bord. Das bedeutet, dass die Batterien anders verkabelt werden müssen. Das genau zu erklären, würde den Rahmen sprengen. Nur so viel: Es ist nicht einfach. Da Matt die neuen Batterien, die er besorgt hatte, nicht an die bereits gebrauchten Batterien aus St. Pete anschließen wollte – die „älteren“ Batterien würden die neueren stets entladen – hat er das Ganze aber in zwei Gruppen aufgeteilt und den Solarregler neu programmiert. Ein Schalter trennt die beiden Gruppen, und ich kann wählen, aus welcher Gruppe der Strombedarf gedeckt werden soll. Sollte eine Batteriegruppe ans Limit ihrer Leistungsfähigkeit kommen, kann ich nun auf die 2. Gruppe umschalten, die sozusagen als Reserve dient. Das gefällt mir sehr.
Unseren Strombedarf konnte ich pro Tag mit rund 1,6 kW – über den Daumen gepeilt – errechnen, wenn beide Kühlschränke und er Autopliot 24 Stunden laufen. Mehr als 50% davon frisst der Autopilot mit allen Komponenten, die zu ihm gehören, die in Summe 34 Watt konsumieren.
Mittwoch Abend sind wir losgesegelt, wobei ich den 2. Kühlschrank sicherheitshalber abgedreht hatte. Am nächsten Morgen hat das Panel seine Arbeit aufgenommen. Die Panele haben dann den ganzen Tag geladen, und über 1,6 kWh Strom in die Batterien gepumpt. Das heisst, sie haben nicht nur unseren Bedarf untertags gedeckt, sondern zudem die Batterien auch geladen.
1600 UTC – Houston, bitte kommen.
Um kurz vor 1700 ist Schiffsmittag, Andreas hat Wache und das Ruder übernommen. Offensichtlich ist er ein geübter Steuermann. Ich beginne zu kochen. Kaum sind die Erdäpfel zugesellt und die Champignons und der grüne Spargel in der Pfanne, reisst die Halterung des Herdes.
Auf einem Schiff ist der Herd so aufgehängt, dass er frei schwingen und damit die Bewegungen des Schiffs so ausgleichen kann, dass die Töpfe und Pfannen weitgehend gerade bleiben. Ohne diese Halterung ist der Herd unverwendbar, da die Speisen wahlweise mit oder ohne dazugehörigem Topf, höchst unkontrollierte Flugbahnen entwickeln würden.
Einige Sekunden vergehen also, Erdäpfeltopf und Pfanne in der Hand, während das Schiff sich in zwei Meter hohen Wellen unbeirrt seinen Weg durch die Wogen bahnt, ehe mir klar wird: Kein Herd, kein warmes Essen und vor allem kein Kaffee! Diese Vorstellung entlockt mir wenig jugendfreie Flüche. Für fast alles habe ich irgendein Backup an Bord, irgend ein Workaround in meinem Kopf – zumindest theoretisch – gespeichert, aber dafür nicht.
Houston, wir haben ein Problem, das heisst: eigentlich zwei. Nicht nur ist unser Herd unverwendbar, haben wir auch keinen Kontakt zu Houston, und wenn wir ihn hätten, dann hätten die keinen identischen Zwilling unseres Boots, um sich was einfallen zu lassen – wie sie es bei Apollo 13 getan hatten. Also vergessen wir Houston.
Bald ist klar, dass wir keinen Metallbohrer zur Hand haben, mit dem wir den Herd anbohren könnten, um eine Schraube einzusetzen, wo einst der Bolzen herausragte, um den sich der Herd drehte. Holz- Kunststoff, ja sogar Steinbohrer habe ich an Bord, aber keinen für Metall!
Schlußendlich gelingt es uns, den Herd mit einem Gurt vertikal so aufzuhängen, sodass er um seine Achse pendeln kann, und horizontal mit Schnüren derart zu verankern, dass er halbwegs dort bleibt wo er hingehört. Hoffentlich hält das bis Bermuda. Ich bin zuversichtlich, dass wir das Problem dort lösen können, kommen doch viele Yachten zu der kleinen Insel.
Wir Seefahrer sind die Vorfahren der Sternenfahrer, am Ende sind wir auf uns gestellt und nichts ist so wichtig wie ein Stück Schnur und Klebeband. Irgendwie erinnert mich das auch an die Zeit des analogen Filmens, als wir in Jokls Garage mit ein bisschen Klebeband und ein paar Schnürln das gebastelt hatten, was heute Computer machen.
1915 UTC
Wir haben seit 24 Stunden praktisch identische Bedingungen und machen gut Weg. Andreas geht es besser, die Therapie wirkt. Lange unter Deck was tun kann er allerdings nicht. Selbst das kurze Helfen beim Herd Aufhängen hat er in dem Seegang kaum verkraftet.
Jetzt haben wir ungefähr anderthalb Meter hohe Welle von schräg hinten und bisweilen rollt die Europa. Diese Bedingungen werden sich auf unserem zweiten Reiseabschnitt nicht wesentlich verändern. Das bedeutet, dass ich die Versorgung an Bord übernehmen und mich auch um Küche und alles andere unter Deck kümmern werden muss. Das ist nicht weiter schlimm, aber es hat Auswirkungen auf den Speiseplan und den Proviant, den wir einkaufen werden. Einfache Gerichte, deren Zutaten so weit als möglich vorgeschnitten sind. Magenschonend müssen sie auch sein, wegen Andreas. Fettfrei wegen mir. Das Salamibrot mit Senf und Tomate ist daher auch keine Option. Meine Herren, wir werden nicht jünger!!
Oh wei Fabian böse Abenteuer. Ich war ja oft, die , die fürs Kochen zuständig war nd Herd, der nicht mitschwingt. Alptraum!!