Auf Samtpfoten durch ein Meer aus Träumen, Europas funkelnde Spuren im Wasser. Über dunklem Meer eine Milchstrasse, Polaris rot schimmernd, verwaschner Horizont. Mild ist die Luft.
0000 Etmal: 130nm
Nach der Rally durch den Golfstrom war der gestrige Tag ein richtiger Sonntag. Andreas blühte auf, kochte, selbst Arbeiten unter Deck bereiten ihm bei normalem Seegang keine Probleme. Das zerstreut meine Gedanken zur Versorgung auf der zweiten, langen Etappe.
Das Energiemanagement funktioniert gut, lediglich die Kühlschränke freuen sich über die ein oder andere Motorstunde alle paar Tage. Ich hoffe, dass wir eine Lösung für den Herd in Bermuda finden. Auch werde ich zusehen, einen Campingkocher aufzutreiben, als stile Reserve.
Auffällig ist, dass wir wenig Müll produzieren. Plastik und Papier trennen wir, für den Restmüll haben wir bis jetzt noch keinen großen Müllsack angefangen. Das liegt wohl daran, dass wir viel Gemüse und Obst essen. Wir ernähren uns recht gesund, muss ich sagen!
0630
Ruhige Nacht. Das Schiff läuft in 2 Bft gleichmäßig 5 Knoten. Habe 6 Stunden durchgeschlafen. 190 Meilen noch bis zu unserem Etappenziel. Wir werden wohl morgen Abend ankommen.
1130
Andreas erzählt von sehr intensiven Träumen. Ich kenne dieses Phänomen und mir geht es bisweilen ähnlich. Die Weite und die stete Bewegung, die Absenz von der unnötigen Ablenkung durch elektronische und analoge Massenmedien werfen Dich auf eine Art und Weise auf Dich selbst zurück, die etwas Reinigendes und Meditatives hat. Es hat den Anschein, als verbindeten sich verschiedene Ebenen des Bewusstseins, des Unbewusstseins und der Wahrnehmung.
1700
Der Nonious Sextant, den mir Mimi und Kurt voriges Jahr zum Geburtstag geschenkt hatten, stammt offenbar aus der frühen Hälfte des letzten Jahrhunderts. Im Vergleich zu den modernen Sextanten ist seine Handhabung ein wenig trickreich. Da wir in ruhigem Wetter motoren und mit einem wolkenlosem Himmel das Tor zu allen Gestirnen weit offen steht, habe ich begonnen, mich mit dem Gerät in Ruhe auseinanderzusetzen. Mit Andreas Hilfe gelang es, den Sextanten richtig zu justieren. Er dürfte lange nicht in Verwendung und er als Schauobjekt genutzt worden sein, nicht erst einer hatte an den Schrauben gedreht.Als schließlich Spiegel und Filter richtig justiert waren, begannen wir mit ersten Messungen. Nach und nach haben wir Fehler korrigiert, und der Umstand, dass ich Andreas erklären durfte bzw. musste, was ich tue, hat mich vor selbst vor dem ein oder anderen Fehler bewahrt.
Wir haben schlußendlich zwei Sonnenstände „geschossen“ und die Werte in ein kleines Hilfsprogramm am iPad eingegeben. Bevor wir das Ergebnis ansahen, habe ich unsere Mittagsposition errechnet, was relativ einfach ist. Die zweite Messung haben wir zu „Schiffsmittag“ vorgenommen. Die nördlich Breite hat exakt mit unserer Position übereingestimmt.Bei der Länge war ein Fehler von ungefähr 10 Seemeilen zustande gekommen, da ich offenbar den Zenit nicht richtig gestoppt hatte. Wir haben Tabellen, in denen steht, wann es in Greenwich genau Mittag ist, und die umrechnen, wann es bei uns genau Mittag ist. Die Abweichung zum Messwert ergibt sich aus de Beobachtung von jenem Moment, an dem die Sonne ihren Höchststand hat. Diesen habe ich ungefähr ein Minute zu spät angenommen.
Vom Schiffsmittag unbeeindruckt hingegen hat das Hilfsprogramm am iPad die beiden Messwerte zueinander in Relation gesetzt. Unsere händische Position wich ca. 4 Meilen von der GPS Position ab. Das ist – unter Logbuchlesern darf ich es so salopp formulieren – ein Lercherschaß (für unsere bundesdeutschen Mitleser: „Darmwind einer Lerche“) angesichts der unendlichen Weiten des nordatlantischen Blaus. Wir sind zufrieden! Andreas bekommt zur Belohnung Schokolade, ich bleibe auf Diät. Es ist heiss.
Nun können wir uns getrost dran machen, die Positionen selbst auszurechnen. Und das werden wir auch tun.
2100
Nachdem wir unsere Messungen durch sämtliche Tabellen korrigiert hatten,ging es daran, die Position zu zeichnen. Ein dummer Fehler, der mir leider immer wieder passiert hat das Ergebnis zuerst verfälscht, aber wir konnten ihn finden. Eine weitere Messung später gelang. Das war nicht schlecht, aber „Sehr gut“ ist es noch keines. Wir werden das morgen wiederholen.
Das wichtigste an der Navigation ist aber nicht der Sextant. Natürlich – je besser das Gerät, umso genauer die Messung. Aber die ist vollkommen wertlos, wenn man nicht über eine exakte Uhr an Bord verfügt, die – tunlichst auf die Sekunde genau – die Greenwich Zeit, also UTC, an zeigt. Daher müssen an Bord alle Uhren auf diese Zeit eingestellt sein. Das ist unumgänglich.
Wir motoren seit über 12 Stunden und es werden wohl nochmal 12 werden. Das Bermudahoch liegt weit nördlich, es zu umsegeln hätte sich aber nicht ausgezahlt. Aber 24-30 Stunden Motor sind schnell weg in diesen enormen Dimension, und mit ihnen auch gleich mal 100 Liter Diesel oder mehr. Wir hoffen morgen noch leichte nördliche Winde abzubekommen und vielleicht noch ein Stück zu segeln. Unbestritten aber scheint, dass wir im Laufe des morgigen Tages St. Georges erreichen werden. Unsere ETA ist derzeit errechnet mit 31. Mai 202, 2000 UTC (das ist 1700 LCL Bermuda).
Wie ich in meinen Vorbereitungspostings geschrieben habe, drehen sich die Winde antizyklonal, also im Uhrzeigersinn um die Hochdruckgebiete. Im Kern ist es aber nicht nur windstill, es sammelt sich dort auch alles, was an der Oberfläche treibt. So haben wir in den letzten Stunden zahllose Plastikflaschen gesichtet – das vielleicht untrüglichste Zeichen dafür, dass wir dem Zentrum des Hochdruckgebietes sehr nahe sind. Was für eine Schande.