Zanabe
Ein roter Morgenhimmel dämmert über St. George`s. Der nur mehr einem Hauch gleichende Wind hat in den letzten zwei Tagen von West über Süd nach Ost gedreht und weht nun aus Norden.
Die Zanabe ist ein unter amerikanischer Flagge laufender Zweimaster mit grauem Rumpf. Niemand, der nicht stehenbleibt und die aufwendigen und liebevoll gestalteten Details bestaunt, mit der das Schiff restauriert wurde. Hochglänzende Lufthutzen ragen aus eibnem samtglänzenden Teakdeack, die Handläufe sind lackiert, die Niro-Beschläge und Stützen funkeln makellos. Das gesamte Rig, also Masten und alle Taue und Wandten, ist so gut wie teuer. Getönte Scheiben schützen den Decksalon vor der Sonne. Die Zanabe hat kein klassisches Cockpit, der Steuermann steht hinter dem Besanmast, davor eine Sitzgruppe, die nur bei ruhigem Wetter zur Kontemplation taugt.
Als die Zanabe direkt hinter uns anlegt, erkennt Andreas, dass jeder einzelne der zweiundfünfzig Sterne der riesigen Flagge tatsächlich aufgestickt ist.
„Kunststück! Sterne aufsticken ist leicht! Aber stick` mal einen Bundesadler!“, erwidere ich, während ich mir die Details der Yacht durchs Fernglas ansehe. „Überleg` mal. Wir sitzen hier auf unserem wunderbaren, vergleichsweise kleinen Schiff, festgemacht an der Pier, und blicken auf diese wunderschöne Yacht, die an genau derselben Pier festmacht. – Was sehen die, die auf der Zanabe sitzen?“
Eine Crew segelt das Schiff. Der Eigner, ein älterer Herr, der offenbar alleine reist, darf beim Anlegen auch eine Schnur halten. Endlich festgemacht sehen wir den amerikanischen Sunnyboys zu, die unter dem Kommando eines australischen Skippers das Deck sauber machen. Sogar die Festmacherleinen scheinen eben erst ausgepackt worden zu sein. Schön, denke ich, der Eigner hat sicher viel Freude mit dem Schiff, das er sich offenbar bedenkenlos und wirklich leisten kann. Ich vergönne es ihm vom Herzen.
Segeln wollte ich die Yacht allerdings eher nicht unbedingt, beschließe ich, Rumpfform und Decksaufbauten zeugen von elenden Segeleigenschaften. Kein geschützter Bereich an Deck, von dem aus man das Schiff in schwerem Wetter segeln könnte. Kommt ein bisschen Welle, müssen sich alle in den Decksalon zurückziehen, von wo aus sie das Schiff per Knopfdruck bedienen, wenn es nicht ohnehin alles von selbst macht.
„Da mach` ich mir mal keine Gedanken“, sagt Andreas, der Skipper der vor uns liegenden „Akka“, der nun neben uns an der Kaimauer steht, mit einem breitem Grinsen. „Bei schlechtem Wetter gibt der einfach Gas.“
Was wie Neid oder gar Missgunst klingt, ist von nichts dergleichen getragen. Segeln ist eine zweifelsohne eine der exklusivsten Formen, Freiheitsdrang auszuleben. Es ist ein Privileg, eine Yacht segeln zu dürfen, und man ist zweifelsohne gesegnet, wenn man eine solche – egal welcher Größe – unterhalten kann. Mit den unterschiedlichsten Situationen konfrontiert, gelangt man an die entlegensten Plätze und lernt die unterschiedlichsten Menschen kennen. Mit einer gewissen Demut ausgestattet – oder sollte ich es Respekt nennen? – gibt kaum es ein toleranteres Völkchen als die Gemeinschaft der Fahrtensegler. Nur wenige Menschen leben so unmittelbar mit der Natur. Ressourcenmanagement ist auf jeder Blauwasseryacht ein großes Thema und hat in den letzten Jahren deutlich an Bedeutung gewonnen. Generatoren werden heute eigentlich wenn, dann nur noch als Backup – Systeme verwendet. Spritpreise variieren stark, auf St.Lucia haben wir zollfrei den Liter Diesel um 50ct getankt, hier sind es mit 2,20US$ das Viereinhalbfache. Ungeachtet dessen ist es für jeden Fahrtensegler immer das Ziel, den Motor so wenig wie nur irgendwie möglich zu verwenden. Jede Investition in die Fähigkeit, sich so weit als möglich aus natürlichen Quellen selbst versorgen zu können, rentiert sich schon nach kurzer Zeit vielfach. Viel mehr aber münzt sie sich in Reichweite und Unabhängigkeit um. All das lässt sich in einem Wort zusammenfassen: Freiheit.
Die Zanabe fällt in die Kategorie der Superyachten. Damit ist eine Recherche nicht schwierig. Die Ketsch und wurde 1977 in Buenos Aires, Argentinien, gebaut und zu Wasser gelassen. Ursprünglich für das Whitbread Race von 1977 konzipiert, hat sie meines Wissens nach aber nie an dem berühmtesten aller Yacht Rennen teilgenommen und wurde bereits vor Jahrzehnten komplett umgebaut und auf 80 Fuß verlängert. Mein erste über den Daumen gepeilte Diagnose, dass dieser Rumpf kein schlüssiges Segelerlebnis verspricht, dürfte also nicht falsch gewesen sein. Die nachträgliche Verlängerung eines Rumpfes hat sich eigentlich noch nie günstig auf die Segeleigenschaften ausgewirkt. In der Rockport Werft in Maine wurde die Zanabe zuletzt komplett restauriert. Zu diesem Zeitpunkt war sie innen und außen völlig entkernt, ohne Spieren und funktionierenden Antrieb. Rockport Marine baute das Boot über einen Zeitraum von zwei Jahren nach einem von den Superyacht Designern der „Fontaine Group“ erstellten Entwurf um. Die neuen Prunkräume sind mit furniertem Sperrholz (entsetzlich!) verkleidet, und die Decks haben einen neuen Teakbelag. Das Schiff ist mit Spieren aus Kohlefaser ausgestattet und verfügt über modernste Elektronik und ein Überwachungssystem, das die Kontrolle der Bordsysteme durch einen Computer außerhalb des Schiffes ermöglicht. Die Zanabe ist in St. George`s auf Bermuda stationiert – kommt also aktuell vermutlich nicht von weit her.
Energiemanagement war für Geldgeber und Edeldesigner allerdings kein Thema. Auf der Zanabe läuft, begleitet von stetem Brummen und Abgasen, rund um die Uhr ein Aggregat, das Kühlschränke, Espressomaschinen, TV Geräte, Computer und natürlich die lebenswichtige Klimaanlage auch dann mit Strom versorgt, wenn Besatzung und Gäste im Hafen dieser Paradies – Insel tief schlafen, auf der es abends auf geradezu perfekte 22 Grad Celsius abkühlt.
„Red sky at morning, sailors take warning.“
Nun verdrängt die Sonne den roten Morgen und kündigt einen perfekten Tag an. Es ist die Ruhe vor dem Tropensturm, der den provisorischen Namen „One“ trägt, weil er der erste ist in diesem Jahr. Und viel zu früh kommt. „Alex“ soll er heißen, wenn er sich denn zu einem „richtigen“ Sturm ausweitet. – Was kann man tun?