Die Nacht war sehr ruhig, nur einmal, in den frühen Morgenstunden, klopfte wohl eine Schildkröte mit ihrem Panzer gegen meinen Rumpf. Tatsächlich machen diese wundersamen Tiere ganz gerne, wenn ihnen langweilig ist.
1300UTC | Key West Bight Marina
Tanke 50 Gallonen Diesel und nehme Benzin für den Außenbordmotor der Barkasse. Das Rechnen beginnt. Zuletzt hatten wir in Varadero, Cuba, vollgetankt. In Havanna hatten wir 20 Liter aus einem der Kanister zugeschoßen. Seit dem Tanken war der Motor 73 Stunden in Betrieb. Das ergibt, wenn ich richtig rechne, 2,8 Liter die Stunde. Das ist gut und zeigt, dass der Motor oft nur zur Unterstützung (Motorsegeln) oder zum Laden der Batterien lief.
Zuerst sieht es so aus, als ob kein Kurzliegeplatz verfügbar wäre, aber ein Boot verlässt den Steg neben der Tankstelle und ich kann meinen Einkaufsspaziergang machen. Viel brauche ich nicht, gerade soviel, dass ich die nächste Woche durchkomme.
Key West hat eine historischen Kern. Viele Gebäude tragen Jahreszahlen aus dem späten 19. Jahrhundert, die meisten sind aus Holz. So richtig idyllisch ist der Spaziergang zum Supermarkt, die Morgensonne steht tief, entspannte Menschen, wenig Verkehr. Palmen säumen die Vorgärten, auf den Veranden stehen Schaukelstühle. Das ist alles belebt, und doch wirkt es ein wenig wie ein Museum. Und: Sehr ordentlich sind sie, die Amerikaner, die reichen zumindest. Das wird sich in den kommenden Stunden ändern, wie ich von meinem Ankerplatz aus schon hören durfte. Andererseits ist Montag, also vielleicht ist alles ein wenig ruhiger. Nach eineinhalb Stunden bin ich durch und mit einem gut gefüllten Einkaufsbeutel wieder an Bord.
1440 UTC
Abfahrt. Wenig Wind mit 2, manchmal 3 Bft. Bei Tag ist der Weg durch die Untiefen leicht, die Tonnen sind gut sichtbar und noch ist wenig los. Nur einige schwarze Schlauchboote mit Soldaten überholen mich. Und einige Zeit später donnern mehrere Kampfjets in unterschiedlichen Höhen über mich hinweg. Einmal fliegen sie sogar so tief, dass selbst ich zweifelsfrei erkennen kann, dass es sich um F16 handelt. Leise anschleichen kann man sich damit allerdings nicht.
1730 UTC | N24•27,4 | W081•38,6
Motorsegeln ins tiefere Wasser, wo mich die Florida Current erwartet. Warm, sonnig.
1915 UTC | N24•24,4 | W081•26,5
Neuer Kurs 86• – das war der südlichste Punkt dieser Reise. Nun geht es nach Osten und dabei immer mehr nach Norden drehend. Der Motor wird wohl die Nacht über laufen, wenn die Prognosen stimmen. Die „Florida Current“ schiebt mich an.
2000 UTC
Mittlerweile liegt der Kurs mit 81 Grad an. Die Sonne neigt sich langsam gegen Westen und dringt auch unter das Sprayhood. Mein Körper saugt die Wärme und Energie auf und teilt sie mit der Seele.
Ich lese gerade Peter Heinl neuestes Buch „Die Macht der Unsichtbaren Krone“, in dem er seine Notizen zum Verlauf der Corona Pandemie im Jahr 2020 virtuos montiert. Er ist dabei sehr genau, beobachtet sich selbst und das, was um ihn in London geschieht, akribisch. Viele Vorgänge werden beleuchtet, die unsere bisweilen hysterische Zeit im Dunkel lässt, und mit einem Mal wird klar, was dieses Virus mit uns allen gemacht hat, auch mit jenen, die ihm vermeintlich entrinnen konnten. Heinl seziert dabei das Trauma, während es passiert. Was wie ein Tagebuch dessen beginnt, woran wir alle uns erinnern – und dabei ist es in der Tat egal, ob wir in Wien, London oder Berlin sitzen – wird zu einem regelrechten Seelenkrimi. Auch beschreibt er, wie er im Londoner Lockdown des Frühjahrs 2020 jeden Sonnenstrahl versucht einzufangen, und wie er sich gelegentlich in seiner Phantasie auf Reisen begibt, die ihn hinausführen aus dieser Umklammerung, wie wir sie alle erlebt haben.
Die Wellen, die vom großen, weiten Atlantik hier hereinströmen, werfen sich in der ihnen entgegengesetzt laufenden Strömung auf. viel Bewegung im Schiff. Der Wind hat auf 1 Bft nachgelassen.Wenn ich Glück habe, dreht der Wind in der Nacht ein wenig Richtung Südost, das wäre natürlich vorteilhaft.
Gute 15 Meilen von den Ufern der Keys entfernt, verläuft mein Kurs nun parallel zu diesen. Immer wieder kommt es zu einer Häufung von Frachtschiffen aus beiden Richtungen. Auch ein Kreuzfahrtschiff einige Meilen südlich von mir, offenbar mit Kurs auf die Turks und Caicos oder die Bahamas. Ich verbringe viel Zeit am Radar, die großen Schiffe sind schnell und ich versuche mich deutlich, aber auch nicht mehr als unbedingt notwendig abseits ihrer Route zu halten.
2330 UTC N24•30,9 | W 80•56
Die Nacht fällt herein. Plötzlich entdecke ich Wetterleuchten östlich von meiner Position. Der Wetterdatencheck zeigt eine Gewitterneigung über den Bahamas. Glücklicherweise komme ich in ein Empfangsgebiet und rufe das aktuelle Wetterradar von Miami ab. Es zeigt Gewitter, die aber nord östlich ziehen. Geheuer ist mir nicht, und ich lege schon mal ein kräftiges Reff ins Großsegel. Dann wird das Ölzeug hergerichtet.