Dem Morgen gilt die Sehnsucht
0000 UTC | N 24•33 W 080•53
Der Internetempfang ist wieder weg. Ich konnte gerade noch die ungefähre Position und Zugrichtung der Gewitterzelle ausmachen. Sie ist ca 40-45 Meilen entfernt und sollte nach NNO ziehen, also weg von mir. Hoffen wir das.
Die Vorhersagedaten geben an, dass die Gewitterwahrscheinlichkeit ab jetzt, Mitternacht nach UTC, zunehmend sinken soll. Den Radar – Alarm, auf dem tiefe Wolken und Regen gut erkennbar sind, habe ich auf 12 Meilen gestellt. Eine halbe Banane und ein Diet Coke. Denke an jeden Sonnenstrahl, den ich heute inhalieren durfte. Die konzentrierte Ruhe stellt sich ein, die ich in solchen Situationen schon öfter erlebt habe. Anders als daheim, wo ich dazu neige,mich in schwierige Situationen zuerst zu verbeissen und dann, einem Strudel gleich, mich immer tiefer hineinziehen lasse. Liegt das am Ende an der Fülle der Möglichkeiten, die ich zu haben glaube? Hier heraussen sind die Dinge schlicht, und es erfordert Ruhe und Konzentration, die Optionen genau zu überdenken. Durchatmen. Ausatmen. Essen. Segel einholen, Überlegungen zu möglichen Ausweichrouten entwerfen. Instinktiv rät die Angst, die Nähe zum Land zu suchen. Die Angst ist ein schlechter Ratgeber. Die Keys sind seicht und gefährlich, ein sicherer Hafen nicht in schneller Erreichbarkeit. Schütze Dein Schiff vor dem Land, und Dein Schiff wird Dich vor der See schützen. Sprichwort aus Dalmatien. Bilder der weiten Reisen, die wir in diesem Schiff absolviert haben rasen für wenige Augenblicke vor meinen inneren Augen vorbei.
Und dann ist es klar. Plan B lautet ein mögliches Gewitter Raumschots abzulaufen, das wäre zurück Richtung Key West. Nächste Frage: Was kann ich jetzt, im Moment tun? Unkonventionelle Option: Ich nehme Fahrt raus. Damit nähere ich langsamer und gebe dem Gewitter die Gelegenheit, sich aufzulösen, ehe ich sein Gebiet erreiche.
Ich bilde mir ein, dass die Intervalle zwischen Blitzen größer werden. Donner ist nicht zu hören. In meinem Heck hängt ein sichelförmiger Mond, ein einzelner Stern darüber. Bescheidenheit, vielleicht ein Stück Demut. Zum ersten Mal seit vielen Jahren.
Es ist schwül.
0040 UTC | N24•35 | W80•49,5
Die Intervalle zwischen den Blitzen werden größer. Sterne tauchen langsam im Osten auf, da, wo gerade noch die Gewitterfront war. Die Luft ist frischer.
Die Strömung hat nachgelassen, auch der Wind. Lange macht das Vorsegel keinen Sinn mehr. Ich drehe ein wenig nach Süden, um die paar Tropfen Wind einzufangen. Rund 20 Meilen vor mir sollte der Golfstrom einsetzen, so sagen es zumindest die Karten.
Über den Funk kommt eine PanPan Meldung über ein grünes Boot, bloß wenige Fuß lang, das südlich von Key Largo unbemannt treibt. Das liegt ziemlich genau auf meiner Route. Ich muss versuchen. schlaf zu bekommen, bevor ich das Gebiet erreiche. Das wird in 5 – 6 Stunden der Fall sein. Und nun kommt das Vorsegel weg.
0200 UTC | N 24•38,5 | W 080•42
Das mit dem Schlafen klappt mehr schlecht als recht. Jetzt sehe ich Gewitter und Wetterleuchten im Süden, weit weg, vor oder sogar über Cuba.
Langsam scheine ich wieder eine leichte Strömung zu spüren. Ich rechne ständig die Ankunftszeit nach, weil zu befürchten ist, dass es in den Morgenstunden Nebel geben könnte. Ich muss aufpassen, nicht zu früh da zu sein, die Zufahrt zum Ankerplatz ist wieder eng.
0350 UTC | N 24•44,4 W 080•31,8
Das Wetterleuchten hatte zwischenzeitlich zugenommen, nun ist wieder vorüber.
Dafür sind gleich mehrer Pan Pan Meldungen aktiv. Jene vorher erwähnte südlich von Key Largo und ein zweites unbemanntes Segelboot in N 25•15 W 079•56 liegen auf meinem Weg. Ein Fischerboot bei Key West schöpft Wasser, und ein gekenterter Kahn in der Gegend von Sombrero Key treibt dort offenbar schon mehrere Tage rum. Diese Meldungen werden nun in kurzen Abständen durchgegeben. Schlafen kann man da natürlich nicht.
Und dann waren noch Auszüge aus einer Konversation zwischen einer Yacht und einem Flugzeug der Zollwache zu hören. Details blieben mir aber verborgen, da ich den starken Funk des Flugzeugs zwar klar, jenen der Yacht jedoch nur fragmentiert empfangen konnte.
Der Golfstrom macht mich 2 Knoten schneller. Kaum Welle, kaum Wind. Meine derzeitige ETA ist 1345 UTC, also 0845 Ortszeit.
0530 UTC
Knappe sechs Stunden noch bis Sonnenaufgang.An Schlafen ist nicht zu denken. Zwar ist das Wasser ruhig, und die Europa gleitet mit 7 Knoten durch die Windstille, aber zu vieles beschäftigt mich. Außerdem habe ich Hunger, will aber abnehmen.
An meiner Backbordseite ist ein weitläufiger Lichtschein zu sehen. Ich vermute, dass dieser zu in einander verrinnenden Städten von Miami, Key Biscayne und den anderen gehören. Das Radar schlägt dauernd an, viel Verkehr. Und dann wieder unvermutet ein Ferner Blitz im Augenwinkel oder voraus. Was, denke ich, wenn der Weg eines Blitzes gar nicht willkürlich ist, sondern einer unsichtbaren, aber vorgegebenen Route folgt, ähnlich einer Nervenbahn?
1030 UTC | N 25•25 | W 080•05
Ein paar kurze Schlafeinheiten sind dann doch noch ausgegangen, aber keine war so lang, wie der geplante Intervall von 18 Minuten. Offenbar zu wenig, um die Zwischenwelten zu betreten. Das Wetterleuchten hat nun endgültig aufgehört. Ich hoffe, ich verschreie es nicht.Temperatur und Luftfeuchtigkeit scheinen sich auf ein normales Maß eingependelt zu haben. Die letzte Nacht war von einem Auf und Ab bestimmt. Auch sieht es zumindest im Moment nicht so aus, als würde sich Nebel bilden. Aber ich habe auch gelernt, mit derartigen Mutmaßungen vorsichtig zu sein.
Ich meine, schon vor einem Jahr erwähnt zu haben, wie anstrengend das Segeln doch im Küstenbereich ist, inshore. Immer eine Landmasse in der Nähe mit ihren Untiefen oder Riffen, die dir auf einer Seite den Weg versperren. Auch das Wetter ist viel launischer, Land und Wasser erwärmen sich unterschiedlich und sie kühlen unterschiedlich ab. Dazu der ganze Verkehr, der entlang der Küsten läuft.
Bald sollte es zu dämmern beginnen. Eineinhalb Stunden liegen noch vor mir, bis zu jenem Punkt, an dem ich den Golfstrom wieder verlassen und zwischen die Untiefen der Keys navigieren werde, vorbei Cape Florida, Der Ankerplatz liegt auf der Innenseite, also der Westseite von Key Biscayne.
Der Kaffee tut gut nach dieser seltsamen, seltsamen Nacht. Ein Silberstreif erhellt den Horizont im Osten, jener Osten, in den die Phalanx der Blitze verschwunden war, die sich quer über den Nachthimmel entladen hatten. Von dort kommt nun dieser Tag, der dieses Schauspiel beendet.
Schlafen, Essen, Ölstand in Motor und Autopilot kontrollieren, und schliesslich die Wetterentscheidung über die Art des nächsten Schlags treffen – das steht am heute am Programm. Ein paar Mails beantworten. Sollte ich mich dafür entscheiden, ohne weiteren Stop bis Fernandina zu segeln, werde ich auch vorkochen.
1130 UTC
Der Himmel beginnt zu glühen, während sich voraus die Skyline von Miami abzuzeichnen beginnt.
1330 UTC | Hurricane Harbor, Key Biscayne
Der Anker fällt. Ich schlafe eine Runde und dann werde ich mich den wichtigen Dingen widmen.
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