Ganz nebenbei und wie ein willkommene Abwechslung erwähnte ich in meinem Logbucheintrag vom 31. Mai unsere Begegnung mit der US Küstenwache an der Südküste Bermudas. Hier reiche ich nun die ganze Geschichte nach. Ihr werdet verstehen, warum ich die Veröffentlichung dieses Beitrags für einen Zeitpunkt vorausgeplant habe, zu dem wir uns hoffentlich bereits in der Nähe der Azoren befinden.
Unsere Reise aus Brasilien nach Kuba hatte im Jänner 2021 in Havanna geendet, weil ich zur Ton Mischung von „Sprich Mit Mir“ nach Wien musste. Bereits zu diesem Zeitpunkt war klar, dass das Schiff nicht wie geplant mehrere Monate in Havanna bleiben würde können. Kuba war zu diesem Zeitpunkt in einer schweren Krise. Isoliert durch die US Embargos war das Land gezwungen, eigene Impfstoffe zu entwickeln. Joe Biden hatte die von Donald Trump schwer verschärften Sanktionen wider alle Erwartungen nicht gelockert.
Hatte Kuba bis Weihnachten 2020 einstellige Covid Fallzahlen, änderte sich das im Jänner rasant, nachdem viele Exilkubaner aus Florida, das ja praktisch keine Covid Maßnahmen ergriffen hatte, für die Weihnachtsfeiertage in die alte Heimat gereist waren. Die Zahlen explodierten und Kuba ging in harte und kompromisslose Lockdowns. Selbst die Fernsehmoderatoren trugen während der Sendung FFP2 Masken, am Landweg über die Insel zu reisen war unmöglich – von einem Distrikt in einen anderen zu fahren war verboten und damit praktisch unmöglich. Die wunderschöne Marina Hemmingway war baufällig. Ersatzteile gab es auf der Insel keine. Mitnehmen durfte man auch keine – Sanktionen, Zollbestimmungen – all das war eine infernale Mischung für das Land und selbst für seine wohlgesonnensten Besucher nicht zu kompensieren.
Zu Ostern 2021, mitten im dritten großen weltweiten Lockdown, flog ich nach Havanna. Es war dem Wachwechsel der Hafenkapitäne geschuldet, dass ich der eigentlich mindestens einwöchigen Quarantäne wenn auch nicht ganz legal, aber dafür bereits am nächsten Tag entrinnen und das Land mit dem Boot verlassen konnte.
Ich segelte von Havanna direkt nach St. Petersburg, das an der Westküste Floridas im Golf von Mexiko liegt. Obwohl zu dieser Zeit sämtliche amerikanischen Häfen für Yachten gesperrt waren, konnte ich völlig unbehindert einreisen. Ordnungsgemäß hatte ich mich bereits in angemessener Entfernung zu meinem Zielort über Funk bei der Küstenwache angemeldet und zweimal darauf hingewiesen, dass ich alleine aus Kuba anreisen würde. Ich wurde freundlich begrüßte.
In St. Petersburg angekommen, kontaktierte ich telefonisch die Einwanderungsbehörde und den Zoll in Tampa. Beide nahmen die Daten des Schiffs und meiner Person telefonisch auf, der Weg nach St. Pete war ihnen aber zu weit und so kamen sie nicht aufs Boot. Zwei Tage später saß ich bereits wieder im Flugzeug nach hause.
Freute ich mich zuerst über die unkomplizierte Vorgehensweise, so wurde mir wenige Tage später in Wien klar, dass die Sache natürlich einen Haken hatte: Dadurch, dass die Behörden nicht an Bord waren, hatte ich auch kein Papier, das die Ordnungsmässigkeit meines Aufenthalts und vor allem des Schiffs bestätigte. Eine Yacht ist eine Ware, die aus Europa kommend – wenn auch nur vorübergehend – eingeführt werden müsste. Wenig später vernahm ich in einschlägigen Foren, dass Yachten für die USA zudem ein Cruising Permit bräuchten, das sie aber natürlich nur mit den entsprechenden Papieren bekommen könnten. Wirklich valide Informationen waren allerdings beim besten Willen nicht zu finden.
Die Tatsache, dass ich zudem noch zu einem Zeitpunkt angekommen war, als die amerikanischen Häfen eigentlich geschlossen gewesen waren, begann nach und nach auf mich zu wirken. Als ich schließlich im Dezember 2021 nach St. Pete zurückkehrte und die Europa in der „The Sailor`s Wharf“ wieder wasserte, suchte ich umgehend die benachbarte Marina auf, wo ich auch eine Nacht verbrachte. Als ich mich im Office nach den Gepflogenheiten erkundigte und wissen wollte, ob ich nun ein Permit bräuchte und wo dieses denn zu bekommen sei, blickte ich in die vollkommen ratlosen Augen eines jungen Mannes, der selbst leidenschaftlicher Segler und in der Marina in seiner 50“ Yacht ein Liveaboard war. Er dachte lange nach, dann zuckte er mit den Achseln und sagte: „Solang Du der Küste entlangsegelst, wird Dich niemand behelligen.“
Das war zwar keine Antwort, aber irgendwie – das muss ich zugeben – war es das, was ich hören wollte.
Nachdem ich am Funk mitbekommen hatte, dass am Intracoastal Waterway alle paar Meilen Hobbykapitäne mit ihren meist haltlos überdimensionierten Motoryachten kollidierten oder auf Grund liefen, hielt ich mich von dieser Wasserstraße fern und segelte zwar in Küstennähe, aber ohne auf andere Schiffe zu treffen, um Florida herum und die Ostküste hinauf zur Tigerpoint Marina nach Fernandina Beach.
Dort traf ich ein deutsches Ehepaar, die ihr Motorboot mit einem Frachtschiff aus Europa rübergebracht hatten, um den Intracoastal zu befahren. Abgesehen davon, dass sie die Lage in Deutschland aufgrund der Coronamaßnahmen mit jener in den 1930er Jahren verglichen, waren sie eigentlich ganz nett. Als ich ihnen die Geschichte mit meinen Papieren schilderte, wurden sie allerdings blass und meinten, ohne Permit ginge ja gar nicht! Ich würde eine Strafe riskieren, die – abgesehen vom Zollvergehen – viele tausend Dollar teuer sein könnte.
An diesem Abend war ich lange wach, aber so sehr ich mich mühte, ich konnte mir einfach keiner Schuld bewusst werden! Ich hatte alle Behörden informiert, mich in einer Marina erkundigt. Warum sollte ich mich dann von einem bundesdeutschen Ehepaar, das Corona leugnete, wahrscheinlich auch auf solche Deppendemos ging, zuhause sicher Aluhüte trug und vermutlich davon überzeugt war, dass die Erde flach sei, beunruhigen lassen?
Zurück in Wien waren einige Monate vergangen, als ich schließlich mit den Vorbereitungen für die zweite Atlantiküberquerung begann, die die „Europa“ zurück nach Europa bringen sollte. Sehr bald schon dämmerte aus meinem Hinterkopf die wohlig verdrängte Erinnerung an die Sache mit den Papieren. Bei der Ausreise aus den USA müsste ich bei Zoll und Einwanderungsbehörde vorstellig werden und offiziell wieder ausreisen. Wannimmer ich mir selbst vor dem Spiegel die – wahre! – Geschichte meiner Einreise erzählte, schüttelte ich den verzweifelt den Kopf. Es war völlig klar, dass mir diese Story kein Beamter in keinem Land der Welt jemals glauben würde können, ohne sich selbst restlos zu disqualifizieren.
Als Andreas schließlich für diesen Trip anheuerte, beschloss ich ihn einzuweihen und darauf hinzuweisen, dass ich vor hatte, die USA zu verlassen, ohne vorher Behörden aufzusuchen. Das Wort „illegal“ wollte ich bewusst nicht verwenden, denn ich war mir noch immer keiner Schuld bewusst. Ich hatte nichts Falsches getan. Andererseits hatte ich auch keine Idess, wie anders ich eine für alle zufriedenstellende Situation herstellen könnte, als heimlich auszureisen?
Wir hatten am Abend das Boot in Fernandina vollgetankt, hatten unsere neuen, strahlend gelben Benzinkanister an Deck fest verzurrt und waren losgesegelt. Während wir den St.Mary`s Inlet verlassen hatten, hatte uns ein Versorgungsschiff der Marine überholt und wenig später war ein Helikopter der USCG in geringer Höhe über uns hinweg geflogen. Eine, vielleicht zwei Stunden später empfingen wir einen Funkspruch, in dem die USCG ein „31 foot boat with yellow gaskets (?) on deck“ wiederholte male aufforderte, sich zu melden. Wir entschloßen uns, die sich über Stunden wiederholende Rufe zu ignorieren. Schließlich waren wir 42 und nicht 31 Fuss lang und hatte keine „gaskets“ (Dichtungen), sondern Kanister an Bord. Das änderte aber nichts daran, dass wir etwas auffällig Gelbes an Deck hatten und der Unterschied zwischen 31 und 42 Fuß nicht so groß war, als dass da nicht eine Fehleinschätzung aus einem Flugobjekt leicht passieren hätte können. Die Funksprüche verstummten irgendwann und damit begann sich meine leichte Unruhe wieder zu legen. Längst waren wir in internationalen Gewässern und schon richtig weit vom Festland entfernt, als sich eine gewisse Erleichterung breitzumachen begann.
Und dann kam der Nachmittag des 31. Mai. Wir hatten Bermuda schon erreicht, waren vielleicht noch 15 Meilen von der Hafeneinfahrt entfernt, längestens drei Stunden würde es bis dahin noch dauern. Weit am Horizont waren einige Schiffe zu sehen. Wir saßen im Cockpit und plauderten friedlich, während wir gemütlich vor uns hin motorten. Plötzlich erkannte ich, dass eines der Schiffe nun mit hoch aufspritzender Bugwelle direkt auf uns zu fuhr. Die „Peilung stand“ – und zwar so fest, als wäre sie angeschraubt. Aufmerksame Logbuchleser wissen was das bedeutet: Kollisionskurs! Der Kapitän hielt direkt auf uns zu. Mit dem Fernglas erkannte ich am Bug des Schiffes einen breiten roten Streifen, wie ihn nur Schiffe der US Küstenwache führen.
In einer Meile Entfernung drehte der Skipper des USCG Schiffes auf einen Parallelkurs und passte seine Geschwindigkeit genau der unseren an. Wenig später wurden wir angefunkt, und diesmal bestand kein Zweifel, dass wir gemeint waren. Schiffsname, Registrierung, letzter Hafen, nächster Hafen, wer aller an Bord sei, wollten sie wissen. Dann passierte lange nichts. Sehr lange. Verdammt sehr lange. Mir wurde mulmig. Ich begann mir auszumalen, wie sie nun über Funk oder Satellit in Fernandina oder Jacksonville nachfragten, ob jemand unser Boot kannte und ob wir ordentlich ausklariert hätten. In meinem Kopf formte sich eine allzu logische Gedankenkette, die, wie auch immer ich sie variierte, zu keinem erbaulichen Ende für mich führte. Andreas versuchte mich aufzuheitern. Es gelang ihm nicht.
Just, als ich in dem Gedanken Trost gefunden hatte, dass ich noch nie mit diesem Schiff an einen Ort oder in eine Situation geraten war, der ein immer erst im Nachhinein erkennbarer tieferer Sinn innegewohnt hatte, erkannte ich, dass die Küstenwache an ihrem Heck ein Dinghi zu Wasser gelassen hatte, das nun mit Blaulicht und großer Geschwindigkeit auf uns zuhielt. Auf dem Boot befanden sich sechs bewaffnete Personen mit kugelsicheren Westen, Combat Helmen. Alle trugen ausnahmslos dunkle Sonnenbrillen. Der Steuermann dreht hinter unserem Heck bei, kam längsseits und drückte die Luftkissen seines Megadinghis gegen unseren Rumpf. Einer der Offiziere fragte mich, ob ich der Kapitän sei. Dann erläuterte er mir, dass er nun nach Artikel so und so vor hätte, zu uns an Bord zu kommen. Obwohl es so klang, wie der berühmte Satz „Alles, was sie nun sagen, kann und wird vor Gericht gegen Sie verwendet werden“, winkte ich ihn lächelnd an Bord. Widerstand ist zwecklos, dachte ich, und entschied mich, ihn schonungslos mit der Wahrheit zu konfrontieren, wenn es soweit sein würde.
Sie kamen zu Viert an Bord. Obwohl sie sich ihre schweren Stiefel nicht ausgezogen hatten, machten sie fast keinen Schmutz an Deck. Das fand ich wirklich beeindruckend. Zuerst schickten sie mich mit einem Offizier runter, der offenbar Nachschau hielt, ob sich entgegen unserer Angaben noch weitere Personen an Bord befanden. Er war freundlich, aber auch sehr zielstrebig. Dann stiegen wir wieder rauf. Nun kam der Chef persönlich und forderte mich auf, ihn nach unten zu begleiten. Oberflächlich zutiefst gelassen und kooperativ zeigte ich ihm alles. Er fragte noch mal nach der Registrierung und einigen anderen Daten unseres Schiffs, die er, so erklärte er mir, über Handy an seinen Chef in Bermuda übermitteln müsste. Währenddessen plauderten wir mit einem anderen Beamten, der uns erklärte, dass die USCG hier in Zusammenarbeit mit den Behörden von Bermuda die Gewässer sichert.
Mit einem „Thank you Sir, I appreciated your cooperation. Have a safe journey.“ verabschiedete er sich, und die Vier stiegen von Bord, nachdem Andreas noch ein Foto von ihnen hatte machen dürfen.
Schön und gut, dachte ich, aber was bedeutete das nun? Hieß es vielleicht, dass unsere Daten nur mit dem Ziel an die Behörden in Bermuda übermittelt wurden, damit diese uns gleich am Zollpier festnehmen und zum Verhör abführen könnten?
Als ich dabei war, die Einreiseformalitäten in St. George`s erledigen, waren alle schrecklich nett und entspannt. Das beruhigte mich nachhaltig, bis der Beamte die Frage stellte: „What was your last Port of Call?“
„Fernandina“, antwortete ich mit wilder Entschlossenheit, ihn beim Verhör derart niederzuquasseln, dass er mich nur deswegen entlassen würde. Und wenn das nicht funktionieren sollte, dann war da noch immer Andreas. Deutscher Staatsbürger. Nato Mitglied. Die würden mich sicher raushauen.
„That`s Fernandina Beach? USA?“
„Yes, Sir. Fernandina Beach, Florida.“
„Do you have clearance papers?“
Mein Ende war gekommen.
„No“.
Er nickt ein wenig, während er bedächtig und in schönster Schrift das Formular ausfüllte.
„No problem at all, we are used to this. US authorities often do not issue papers upon departure.“
Mit einem freundlichen Lächeln händigte er mir das gewissenhaft ausgefüllte Permit aus, welches es uns fortan gestattete, höchst regelkonform bis zu sechs Monate lang in den Gewässern von Bermuda zu segeln und die Insel in formvollendeter Legalität wieder zu verlassen.
Ihr Armen, das klingt ja nach extremen inneren Stress! Freu mich sehr dass alles gut ausgegangen ist. Viele Bussis Brigitte
Lieber Fabian, meine Tochter war 17, sie war erstmalig in die Staaten eingereist und hatte Reste ihres im Flugzeug erhaltenen Salami Brötchen bei sich. Auf die Frage, ob sie aus dem Flugzeug etwas mitgebracht hätte, antwortete sie wahrheitsgemäß und zog das Sandwich aus Ihrer Tasche. Sie wurde sofort von 2 Beamten in Gewahrsam genommen und verbrachte die nächsten Stunden Ihres Lebens in Haft, bis man sie dann doch einreisen ließ. Warum ich das erzähle? Heute, 7 Jahre später, wird sie bei der Einreise in die Staaten immer noch stets auf die Wache mit genommen und komplett “durchleuchtet”. Was ich damit meine: Die Geschichte könnte noch nicht zu Ende sein;-)